Der BDZV hat sich mal wieder bei seinen Mitgliedern umgehört. Wie sie Gegenwart und Zukunft sehen, was sie alles zu tun gedenken, um mit dieser Digitalisierung fertig zu werden. Das Ergebnis lässt nichts Gutes erwarten – und ist gleichzeitig so symptomatisch für das digitale Deutschland…Read More
Bei den Antworten der Mitglieder musste ich an Markus Söder denken. Der Mann ist designierter bayerischer Ministerpräsident und hat unlängst versprochen, alle öffentlichen Busse in Bayern mit WLAN auszustatten. Das ist eine famose Idee, die nur einen einzigen Haken hat: Bis es soweit ist, gehen nach Söders Vorstellung noch gute 30 Jahre ins Land.
Dass man so etwas überhaupt als ein erstrebenswertes Ziel öffentlich deklarieren mag, hat mit einem in Deutschland sehr weit verbreiteten Phänomen zu tun: Man ahnt, dass die Welt digital wird, findet es aber in der analogen Komfortzone gerade doch so schön. Am Aufbruch kommt man zwar nicht vorbei, aber bitte schön, wer wird denn hetzen wollen?
So ist das auch beim Gros der deutschen Tageszeitungen. Sie sind jetzt, wenn man den BDZV-Bericht richtig versteht, zu ein paar Schlussfolgerungen gekommen.
Erstens: Das Kerngeschäft ist auf Dauer nicht überlebensfähig.
Zweitens: Nur mit Paid Content im Netz wird man auch nicht überlebensfähig.
Drittens: Man müsste Print und Online irgendwie näher zusammenrücken.
Viertens: Man braucht überhaupt weitgehend neue Strukturen.
Das ist alles richtig. Und gleichzeitig ziemlich deprimierend, zumindest dann, wenn einem an der Zukunft der Zeitungen wenigstens ein bisschen etwas gelegen ist. Deprimierend deswegen, weil das tatsächlich wie bei Söders Bussen ist: Man erkennt eine grundsätzliche Notwendigkeit, ist damit aber viel zu spät dran und geht die daraus folgenden Konsequenzen eher gemächlich an.
Beispiele gefällig? Die Geschäftsführer der teilnehmenden Verlage wurden nach den Erfolgskriterien für „Paid Content“ gefragt – und antworteten beim Thema Aktualität:
- Online-first Organisation
- Schnelle Updates von Artikeln
- Vorab-Kurzmeldungen
- Liveticker
Vor meinem geistigen Auge fährt gerade wieder einer von Markus Söders WLAN-Bussen an mir vorbei. Online first? Vorab-Kurzmeldungen? Liveticker? Für einen kurzen Moment dachte ich, versehentlich in einer Umfrage für das Jahr 2004 gelandet zu sein. Aber nein, 2018, ganz im Ernst. Was ungewollt aber auch veranschaulicht: Da klaffen inzwischen riesige Lücken. Der technologische, inhaltliche und strategische Rückstand beträgt da mal eben lockere zehn Jahre. Ganz davon abgesehen, dass diese Floskeln erst einmal gar nichts aussagen. Und es kaum anzunehmen ist, dass man mit Livetickern und Vorab-Kurzmeldungen die Zahlungsbereitschaft der Nutzer in völlig neue Höhen schießt.
Weitere Kriterien für mehr Paid Content sind übrigens demnach:
Holla, echt jetzt? Große Themen runterbrechen, lokale Berichterstattung? Das mit dem Runterbrechen großer Themen habe ich schon während meines Volontariats im Jahr 1986 gehört. Und, hey, als Regionalzeitung regionale Themen aufgreifen? Geile Idee. Ebenso das mit der hyperlokalen Berichterstattung, an der sich, zumindest bei der Finanzierung, in den letzten Jahren eine ganze Reihe hyperlokaler Blogger die Zähne ausgebissen haben.
Verkaufen will man schließlich auch noch:
- Leitartikel zur Region
- Investigative Inhalte
- Reportagen über die Region
- Kommentare lokalpolitischer Geschehnisse
Und auch da denkt man sich: Wer hat sich denn sowas überlegt? Mit Leitartikel und Kommentaren Geld verdienen? Keine Ahnung, wo der BDZV und die unvermeidliche Schickler-Unternehmensberatung recherchiert haben, aber ich kenne kein einziges Paid-Content-Modell, bei dem Kommentare und Leitartikel eine halbwegs wichtige Rolle spielen. Ich schaue ja nun auch jeden Tag in meinem Blendle-Account, habe aber dort noch nie einen Kommentar von Kurt Kister oder Heribert Prantl angeboten bekommen. Was auch nicht klappen würde: Ich bezahle nicht dafür, dass mir jemand seine ansonsten durchaus geschätzte Meinung mitteilt.
Ok, „investigative Inhalte“ werden auch genannt, aber ich überlege gerade, wie viele investigative Geschichten man so im Schnitt in deutschen Mittelklasse-Zeitungen liest…
Das Interessante daran: Kein einziges Mal taucht ein Begriff auf, der sich auch nur in die Nähe von journalistischer Qualität bringen ließe. Schon klar, Qualität ist ein dehnbarer Begriff und ein potentielles Totschlagargument auch. Trotzdem: Wenn es um Inhalte geht, für die Menschen bezahlen sollen, dann kommt man an dieser antiquierten Idee der journalistischen Qualität nicht vorbei. Bei den Verlagen hingegen hält man eine Meinung alleine schon für etwas, was das Bezahlen rechtfertigt. Bezeichnend übrigens auch: Für das Projekt „Paid-Content 2.0“ (alleine dieser Begriff schon!) nennen 49 Prozent als wichtigsten Optimierungspunkt: Strengere Regeln! Sprich: Bevor wir das Produkt besser machen und ausreifen lassen, wird es erst mal teurer. Nichts anderes bedeuten „strengere Regeln“ nämlich.
Zwischen Wunsch und Wirklichkeit
Ach, und überhaupt: Zwischen den theoretischen Wunschvorstellungen und der Realität der Verlage klaffen inzwischen derart große Lücken, dass man beinahe schon von Realitätsverweigerung sprechen muss. Beispielsweise hat der BDZV als existenziellen Trend für Verlage den Aufbau eines 360-Grad-Vermarktungsangebots ausgemacht. Klingt cool, ist aber an der Realität völlig vorbei, wenn man sich anschaut, was laut Umfrage alles dazu gehören sollte: Social Media Management, Events und Seminare, App-Erstellungen, SEO/SEA.
Sehr hübsch, aber wenn ich mir anschaue, wie sich in etlichen Verlagen unterbesetzte Online-Abteilungen irgendwie über Wasser halten, dann ist das so, als würde Markus Söder ankündigen, bis zum Wochenende seien alle Busse in Bayern mit WLAN ausgestattet.
Glauben Sie nicht? Dann bitte: Wenn Sie mir einen Regionalzeitungsverlag nennen, bei dem Sie diese Punkte zu den echten Kernkompetenzen zählen, bitte, immer rein in die Kommentare. Ich habe jedenfalls noch nie von einem Unternehmen gehört, dass sich seine App, seine Social-Media-Strategie oder seine SEO von einem Zeitungsverlag bauen lassen will. Das wäre ja auch eine ziemlich abenteuerliche Idee. Trotzdem glauben eine ganze Menge deutscher Verlage offenbar daran, sich so in die Zukunft retten zu können.
Zeitungen leben immer noch gerne im analogen Biotop
Nebenbei: Ungewollt spricht diese Umfrage des BDZV sehr für das, was im Digitale News Report 2018 als einer der Kernpunkte festgehalten ist. Nämlich, dass die Digitalisierung auch die Schere zwischen größeren und kleineren Verlagen weiter öffnen wird. Für große Verlage ist ein Modell wie das der 360-Grad-Agnetur theoretisch noch denkbar. Aber ein mittelständisches Haus? Alleine, um die Strukturen eines solchen Hauses so zu ändern, dass man sich digitale Kompetenz erarbeitet, bräuchte man locker fünf Jahre.
Dazu würde es auch gehören, wirkliche Digital-Köpfe ganz nach oben zu holen. Aber was bei „Spiegel“, „SZ“, Axel Springer oder „Zeit“ schon lange Usus ist, gehört bei der Mittelständlern immer noch zur Ausnahme. Die meisten Häuser sind analoge Biotope – und die Bewohner eines Biotops wollen sich nur ungern trockenlegen lassen.
Ungewollt verdeutlicht der BDZV selber, wie unrealistisch die Blütenträume vom volldigitalisierten 360-Grad-Haus sind. Bei „Meedia“ wird der „Hidden Champion“ der deutschen Medien-Beratungsgesellschaften Schickler (Eigenwerbung) mal sehr viel deutlicher also sonst (normalerweise wird man bei Schickler das Gefühl nicht los, dass die ihr Geld für Wohlfühlstudien und Gefälligkeitsprognosen für den BDZV bekommen):
Das ist wohl wahr, verschweigt aber einen ganz entscheidenden Hintergrund. Es ist nämlich keineswegs so, dass es außerhalb der Großstädte einfach nur an Leuten fehlt. Es fehlt vielmehr an Leuten, die Lust auf Verlage haben.
Ganz egal, ob ich mich heute mit Studenten oder anderen Menschen der entsprechenden Altersklasse unterhalte: Der klassische Zeitungsverlag rangiert inzwischen in deren Ranking ziemlich weit hinten – und wenn, dann soll er ein Sprungbrett woanders hin sein. Wüssten die Verlagsspitzen, was die vermeintlich fehlenden jungen Leute – und auch die aus den eigenen Betrieben – über die Zukunftsfähigkeit und den Coolness-Faktor von Verlagen denken, sie würden die Schickler-Jungs vielleicht doch mal zum Teufel hauen.
So aber kuscheln sie sich weiter alle aneinander, pfeifen ein wenig im dunklen Digital-Wald, verweigern alle Konsequenzen, sind so zupackend wie der Ex-Digitalminister Dobrindt und so dynamisch wie Söders 32-Jahre-Plan.
Täte man es nicht ohnehin schon, man müsste sich spätestens jetzt sehr, sehr große Sorgen um die deutschen Verlage machen.