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Warum nichts wichtiger ist als Ihre Aufmerksamkeit

Bevor Sie weiterlesen, erst einmal: danke, dass Sie da sind und uns bei HYBRID Eins Aufmerksamkeit schenken. Nein, das ist nicht spöttisch gemeint (auch wenn diejenigen, die mich kennen, solches evtl. vermutet haben). Im Gegenteil: Wenn wir über Medien und Kommunikation im Jahr 2023 reden, dann bekommt dieses Thema Aufmerksamkeit plötzlich einen viel größeren Stellenwert als je zuvor. Das hat ein paar Konsequenzen für alle, die irgendwie publizieren und kommunizieren (und wer macht das inzwischen eigentlich nicht mehr?)

Die Tage ist der Digital News Report 2023 erschienen. Das ist eine Studie des Reuters Institute in Oxford. Und immer, wenn das Ding auf den Markt kommt, sind Menschen, die irgendwas mit Medien und Kommunikation machen, ganz aufgeregt und versuchen, den Zahlen so etwas wie eine Interpretation zu geben. Das ist meistens nur etwas für Menschen, die sich sehr dafür interessieren und die ein inniges Verhältnis zu Zahlen, Statistiken und Empirie haben.

In diesem Jahr ist das ein bisschen anders. Nicht, dass man nicht nach wie vor ein  inniges Verhältnis zu Zahlen, Statistiken und Empirie haben sollte. Man kann nur dieses Jahr ganz gut Dinge herauslesen, die auf den ersten und womöglich sogar auf den zweiten Blick nicht erkennbar sind.

Vor allem eines: Es sind komplexe Zeiten für alle, die irgendwas mit Medien und Kommunikation machen. Nicht so sehr wegen der üblichen multiplen Krisengründe, die alle im Report ganz gut benannt sind.

Sondern vor allem aus einem Grund: Das, was wir alle wollen, wird immer weniger – und immer mehr Menschen buhlen darum. Aufmerksamkeit, das klingt so banal. Aber bevor wir über Paywalls und andere Geschäftsmodelle sprechen und uns in irgendwelchen Excel-Tabellen verlieren, reden wir erst einmal darüber, was die Grundlage von allen Medien und jeglicher Kommunikation ist.

“Pass auf!”, sagt man Kindern in der Schule. Aber genau genommen begleitet uns dieser Imperativ die ganze Zeit, immer dann, wenn wir Medien nutzen. Irgendjemand will, dass wir aufpassen.

So simpel, so nachvollziehbar bis dahin.

In digitalen und in (noch dazu) Zeiten der multiplen Krisen, wie das neuerdings immer so schön heißt, ist dieser begehrte Stoff der Aufmerksamkeit allerdings immer rarer. Unsere Kundschaft ist nicht mehr geneigt, allzu viel davon rausrücken. Dafür gibt es Gründe. Man kann sie herauslesen aus dem Digital News Report. Und mit ein bisschen Hirnschmalz kommt man dann auch schnell dazu, welche Konsequenzen das hat (die Lösungen für das Dilemma sind naturgemäß leider nicht ganz so leicht zu finden.

Problem Nummer 1: Die Sache mit der Müdigkeit

Wenn Sie nicht gerade die letzten Monate auf einem anderen Planeten verbracht haben, dann kennen Sie den Begriff: News Fatiguedie Nachrichtenmüdigkeit. Das hat natürlich (tadaa, da kommt der Begriff wieder) mit diesen multiplen Krisen zu tun. Wenn man nicht gerade Misanthrop ist, liest man Geschichten über Kriege, Pandemien und anderen unschönen Kram nicht so gerne. Schon gar nicht täglich und schon gar nicht in einer Häufung, die den Schluss naheliegt, die Welt stünde unmittelbar vor ihrem Untergang (nebenbei bemerkt ist das m.E. auch der Grund, warum zunehmend mehr Menschen auf das Thema Klimawandel und auf Kleber und Luisa Neubauer zunehmend gereizt reagieren).

In Zahlen sieht das dann so aus. Viel zu interpretieren gibt es daran nicht:

Wie aber kann es sein, dass innerhalb von gerade mal zehn Jahren die Zahl der “überaus an Nachrichten interessierten” um fast 30 Prozentpunkte zurückgegangen ist?

Klingt widersprüchlich, ist aber so: Es gibt erstens zu viel und zweitens zu viel Belangloses davon. Gerade auf Online- und Social-Media-Plattformen erliegen viele dem Missverständnis, dass die geneigte Userschaft nur darauf wartet, mit irgendwelchen Dingen geflutet zu werden, am besten rund um die Uhr. 

Ticker, Liveblogs, im Minutentakt aktualisierte Webseiten – das ist, was sich viele unter einem “Nachrichtenjournalismus” oder auch bunter gelungener Kommunikation im Web vorstellen. Dabei haben sie vermutlich den “News Junkie” vor Augen und vergessen dabei, dass ein “Junkie” einfach nur ein süchtiger Dummkopf ist. Der “Junkie” mag es vielleicht, jeden Tag aufs Neue vollgestopft zu werden. Der halbwegs normal tickende Mensch…nun ja, siehe oben.

Man kann, davon abgesehen, nicht die Welt spannender, schöner, interessanter machen, als sie ist (oder eben auch nicht). Bei dem Tempo, das wir in der digitalen Kommunikation vorlegen, darf man sich nicht wundern, wenn die Zahl der Total-Belanglosigkeiten in exorbitante Höhen gestiegen ist. “Spiegel Online” beispielsweise, die Meister der aufgeplusterten Belanglosigkeiten, hatte unlängst beispielsweise die Meldung, dass Ricarda Lang sich verlobt habe und zu heiraten gedenke, ziemlich lange ziemlich prominent platziert. Kann man schon machen, aber man darf sich nicht wundern…nun ja, siehe oben. 

Erst Ukraine, dann Corona und dann ein bisschen Polit-Gossip, das ist halt ein merkwürdiges Verständnis von News. Wenn Sie übrigens meinen,  das sei hier Spiegel-Bashing: keineswegs, das machen viele so. Der Spiegel ist halt nur ein besonders prominentes und großes Beispiel, wie man Masse mit Klasse verwechselt und einen angehobenen Geräuschpegel mit Relevanz.

Problem Nummer 2: Social Media

Jaja, ich weiß: Social Media ist wichtig und unverzichtbar. Leider aber auch ein Aufmerksamkeitsfresser. Um wirklich Sinnvolles daraus zu ziehen, müsste man seine Accounts schon sehr gut kuratiert haben, auf den Algorithmus alleine verlässt man sich dabei besser nicht. Und wer macht das schon (außer Sie und ich natürlich)?

Es bleibt also nicht aus, dass man in Social Media mit jeder Menge Unsinn konfrontiert wird. Das müssen nicht gleich Verschwörungstheorien und Geschwurbel sein, es reicht auch der tägliche Irrwitz. Nebenbei: Bei dem einen oder anderen aus meinen Social-Media-Bubbles frage ich mich gelegentlich ja schon, wo der Antrieb herkommt, jeden Tag Zeug zu posten, das irgendwo zwischen Mir-doch-egal und Nimm-dich-selbst-nicht-ganz-so-wichtig schwebt. Aber gut, selbst schuld.

Es ist allerdings keineswegs so, dass es nur ein paar private Postings sind, die die Werte der täglichen Belanglosigkeiten-Skala nach oben treiben. Und selbst Unternehmen kommunizieren oft derartige No-Brainer, dass man lieber schnell wieder das Weite sucht. Jedes zweite LinkedIn-Posting liest sich, als wenn es von einer nur mäßig trainierten KI geschrieben wäre.

Kombiniert mit Problem Nummer 1 jedenfalls ist Social Media ein potentieller Brandbeschleuniger für Kommunikationsmüdigkeit. 

Problem Nummer 3: Das Missverständnis mit der Haltung

Alle wollen und sollen heutzutage eine Haltung haben, idealerweise die Richtige, welche auch immer das sein mag. Journalisten und Medien natürlich, Unternehmen und Kommunikatoren auch. Ein Shitstorm ist heute schnell herbeigeschrieben. Also nehmen sie heute alle eine Haltung ein und stehen alle für das Richtige.

Sieht man davon ab, dass eine solche Haltung meistens etwas denkfaul und zumindest semi-opportunistisch ist – langweilig ist sie zudem. Und müdigkeitsbefeuernd. Und manchmal macht man sich auch zur Lachplatte damit, siehe DFB und WM in Katar. Alle, wirklich alle, stehen heute für dasselbe ein, sogar ein Atomkraftwerk in Deutschland würde sich heute die Pride-Farben auf den Kühlturm malen und für Diversity einstehen, würde es irgendwas helfen. Schade, dass es keine AKW mehr in Deutschland gibt, der Anblick wäre bestimmt nett.

Und natürlich ist man gegen “rechts”, auch wenn nicht so genau klar ist, was das sein soll. Im Zweifelsfall alles, was nicht links ist. Wie Medien und Gesellschaft inzwischen ticken, hat “Funk”, dieses Jugendnetzwerk der Öffentlich-Rechtlichen, dieser Tage eindrucksvoll demonstriert. Was Höcke, Weidel, Merz und Söder gemeinsam hätten, fragte dort eine der Redaktionen in einer Insta-Story. Antwort: Sie seien alle “rechts”. 

Davon abgesehen, dass man wirklich gerne wüsste, wie viel Platz für intellektuelle Fußgänger in einer solchen Redaktion ist, steht das sinnbildlich für diese Grundhaltung: Alles, was nicht links ist, ist rechts. Alles, was nicht weiß ist, ist schwarz. Alles, was nicht gut ist, ist böse. Das erinnert ein bisschen an die katholische Kirche und ihre Absolutheitsansprüche. Blöd nur, dass der Kirche gerade die Leute in Scharen davon laufen.

Man muss ja sowas heutzutage immer dazu schreiben: Verstehen Sie mich nicht falsch, ich halte die sexuelle Orientierung für etwas, was niemand zu beurteilen oder zu kritisieren hat. Dasselbe gilt für Hautfarben und ethnische Zugehörigkeiten. Ich wundere mich, dass man das in halbwegs aufgeklärten und liberalen Kreisen überhaupt noch betonen muss. 

Nur: Wenn alle immer das gleiche betonen, wenn sich alle einig sind, ohne weiter nachzudenken, dann erzeugt das: tadaa, siehe oben – Müdigkeit. Zumal ja weder Medien noch Unternehmen keine, wirklich keine Gelegenheit mehr auslassen, Haltung zu demonstrieren und damit häufig nur knapp unter den bisher gemessenen Höchstwerten der nach oben offenen DFB-Skala segeln.

Nebenbei bemerkt, weil wir gerade beim DFB sind: Die Stimmung in Fußball-Deutschland ist gerade eher schlecht, nur Flagge zeigen alleine nutzt dann halt doch nicht so viel.  Substanz wäre schon ein bisschen besser. Höret meine Worte, liebe Unternehmens-Kommunikatoren und Medien.

Problem Nummer 4: Die Sache mit dem Misstrauen

Wenn man eine funktionierende Gesellschaft kaputt machen will, gibt es ein Gift, das immer wirkt: Misstrauen. Donald Trump hat es vorgemacht, viele andere Gesellschaften ahmen das zumindest in Teilen nach: Sag einfach, dass etwas “Fake” ist – und schon ist der Zweifel in der Welt. 

Das hat zwei Effekte. Neben dem Zweifel an den Grundfesten der Welt darf sich niemand mehr einen Fehler erlauben. Wenn also Journalisten und Kommunikatoren einen Fehler machen (was nie zu verhindern sein wird), dann ist das immer auch ein Beleg für alle, die es ja schon immer gewusst haben, dass man “denen” nicht trauen darf.

Aus Nutzersicht: Wenn plötzlich alles unter Fake-Generalverdacht steht, wenn alle Debatten darüber in schrillen Lautstärken geführt werden, dann erzeugt das, Sie ahnen es: Müdigkeit.

Wie man Aufmerksamkeit bekommt und sie dann wieder verliert

Die Systeme der Klicks und Likes befeuern einen Trugschluss. Nämlich den, dass man mit haltungsgerechter und manchmal lautstarker, effektheischender Kommunikation dauerhaft Aufmerksamkeit bekommt. Ein Klick und ein Like sind schnell vergeben. Ob davon aber dauerhaft irgendwas bleibt, ist die andere Frage. Der Junkie zieht nämlich schnell und gerne weiter und der ohnehin Ermattete wird noch müder, noch desinteressierter. Klicks und Likes simulieren eine Schein-Aufmerksamkeit.

Auf der anderen Seite hallt in mir immer noch ein Satz eines Ex-Kollegen nach. Als wir vor Jahren mal einen potentiellen Podcast besprachen und ich ihm sagte, er solle lediglich 15 Minuten lang sein, antwortete er: „Das ist eine ganze Tagesschau.“ Und ja, stimmt: Selbst bei einem “nur” 15 Minuten langen Podcast möchte ich von einem Menschen viel Aufmerksamkeit. Warum also, die Frage aller Fragen und mindestens genauso wichtig wie ein Geschäftsmodell, sollte er mir die geben?

Über die Frage also sollten wir langsam mal wieder nachdenken. Idealerweise vor dem nächsten Post, den nächsten Podcast, dem nächsten Beitrag. Könnte nämlich sein, dass Sie ansonsten noch einen Beitrag zur großen Müdigkeit leisten.

Podcast D25

Die Digitalisierungs-Skepsis in Deutschland ist viel größer als in anderen Ländern: Das, was man irgendwie schon länger ahnt, sagt Barbara Engels frei heraus. Die Autorin des Digitalisierungsindex beim Institut der deutschen Wirtschaft ist bei ihrer letzten Studie zu einem wenig erfreulichen Ergebnis gekommen: Der „Corona-Effekt“ bei der Digitalisierung ist weitgehend wieder verpufft, das Land stagniert.

Im Einzelhandel muss man sogar von einem Rückschritt ausgehen, berichtet Frederik Reim, unser zweiter Gast dieser Folge. Er ist Country Lead Germany bei FAIRE, der weltweit größten Online-Großhandelsplattform.

Was also müssen wir tun, damit wir in Deutschland bei diesem Thema endlich in die Gänge kommen? Und wieso sind wir bei der Digitalisierung immer noch so weit hinten dran? 

Wir werfen einen Blick auf die aktuellen Rahmenbedingungen und stellen die Frage, was getan werden muss, um Deutschland voranzubringen. Sind verbesserte Breitband-Infrastruktur und schnellere Genehmigungsverfahren für Infrastrukturprojekte der Schlüssel?

Anhören: hier!

https://open.spotify.com/episode/59wuSqEPqUbCDpUeMvstMP?si=6502f72441c74d4e

Und natürlich überall da, wo es gute Podcasts gibt. 

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