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Ein analoges Land in einer digitalen Welt

Deutschland hat ein großes Problem: Es ist ein analoges Land in einer digitalen Welt. 


Bevor ich mich des Plagiats schuldig mache: Dieser ebenso schöne wie treffende Satz stammt nicht von mir. Geschrieben hat ihn der englische Kolumnist Larry Elliot im „Guardian“. 

Er beschreibt in diesem Text, was aus dem Erfolgsmodell Deutschland inzwischen geworden: etwas, an dem man sich besser kein Beispiel mehr nehme. Sein Urteil auch über die Zukunftsfähigkeit Deutschlands ist vernichtend. Ja, schreibt er, auch in UK sei nicht alles gut und es gebe noch eine Menge Lektionen, die das Land zu lernen habe. Aber, und das ist der entscheidende Punkt: Nicht viele dieser Lektionen würden aus Deutschland kommen. Härter kann dir jemand nicht sagen, dass deine Zeit vorbei ist und auch nicht wiederkommen wird.

Bevor Sie sich jetzt denken, hier kommt eine allgemeine Sonntagsrede über den Zustand der deutschen Wirtschaft: Keine Sorge, das können andere besser (sieht man mal davon ab, dass man die Beschreibung Deutschlands als alter Mann Europas in diesem Sommer in jedem besseren Medium hat lesen, hören, sehen können). Aber es gibt ein paar Sachen in diesem Text, die man auch in unserer kleinen Branche bedenkenswert finden kann. Herunterbrechen, wie Journalisten das gerne nennen.

Zum einen:

Uns ging es (zu) gut. So gut, dass das Denken eingesetzt hat, das immer einsetzt, wenn es jemandem zu lange zu gut geht: Warum was ändern? Ist doch alles prima hier. Wir haben viel in den Sozialstaat investiert und viel zu wenig in physische, menschliche und digitale Infrastruktur. Vor allem in Letzteres. Der Stand der Digitalisierung in Deutschland treibt dir die Tränen in die Augen.

Und zum Zweiten (das hängt als Konsequenz direkt mit dem ersten Punkt zusammen):

Deutschland liegt bei der Nutzung der Möglichkeiten der KI auf einem der hinteren Plätze. In den USA und in UK  kommen auf 100.000 Einwohner 5,22 KI-Start-ups, in Deutschland sind es 1,9. Das ist nicht einfach nur Technikfeindlichkeit. Das ist auch die Saturiertheit eines Landes, das es sich 20 Jahre in seiner Kuschelecke bequem gemacht hat und in dem nicht gegründet und in Zukunftstechnologien investiert, sondern leidenschaftlich über die Vier-Tage-Woche diskutiert wird.

Im Großen wie im Kleinen

Man könnte sich jetzt also verlieren in sehr grundsätzlichen Ausführungen über das Große und Ganze. Über „das Land“ oder„die Politik“, aber das wären low hanging fruits, wohlfeile Klagen. Im Kleinen, bei uns selbst in der Branche, sieht es nämlich auch nicht so viel besser aus.

Die Tage habe ich mit jemandem, der hier namentlich nicht erwähnt werden will, mal über den Stand der Dinge in klassischen deutschen Medien unterhalten. Er ist da immer noch ziemlich involviert – und ließ irgendwann mal den Stoßseufzer los: Das kann nicht wahr sein, da diskutiert man oft noch dasselbe Zeug wie vor 20 Jahren!
 

Was wir brauchen

Change (mit Management): Ja, ich weiß, das ist erstens ein Anglizismus und zweitens generell unter Plattitüdenverdacht. Aber man erlebt es immer noch viel zu oft, dass man den alten Kram mit ein paar Erweiterungen weiter betreiben will.

Am Ende sieht das aus wie viele Einfamilienhäuser aus den 80ern: hier noch ein Anbau, da ein Türmchen und hier noch ein Carport. Alles für sich genommen schon okay, aber alles in allem wird irgendwann ein untaugliches und unansehnliches Ensemble daraus. So was passiert, wenn die Veränderung kein geplanter und strukturierter Prozess, sondern ein Aneinanderreihen von Einzelmaßnahmen ist.

Mein Lieblingsbeispiel ist immer noch das E-Paper. Und das PDF als solches. Schön, dass es das gibt und gelegentlich nutze ich so was sogar (beispielsweise bei Whitepaper). Aber was zum Teufel soll an einer Zeitung oder einem Magazin als PDF zukunftsträchtig sein? Die jahrhundertealte Idee des Drucks als digitaler Download. Hübsch. Wird es auch noch ein paar Jahre geben. Den Diesel, noch so eine hundert Jahre alte Technologie, wird es auch noch ein paar Jahre geben. Aber seine Zukunft ist ebenso überschaubar wie die des E-Papers.

Ich nenne so was immer Placebotechnologie. Gut für Menschen, die den Abschiedsschmerz noch ein wenig herauszögern wollen. Aber schon einem 30-Jährigen wird der Gedanke, eine Zeitung als PDF zu lesen, eher komisch vorkommen (so wie er wahrscheinlich die innige Liebe zu Diesel-Motoren nicht ganz verstehen kann).

Veränderung also. Die muss nicht nur aus Überzeugung kommen, sondern auch konsequent sein.  Und strukturiert. Ein PDF, ein Newsletter und ein Grundkurs ChatGPT sind nett. Aber sie werden uns als Solitäre nicht in die Zukunft bringen. Machen Sie also eine Strategie daraus, bringen Sie die Dinge zusammen, entwickeln Sie entsprechende Arbeitsabläufe, dann könnte was daraus werden. Wenn Sie ein PDF haben und einen Newsletter mithilfe von ChatGPT erstellen lassen, ist das noch lange keine Strategie.

Radikal-Digitalisierung

Das analoge Zeitalter ist vorbei, wirklich! Es ist schon erstaunlich genug, dass man so etwas im Jahr 2024 ernsthaft noch aufschreiben muss. Aber wenn man sich dann die zögerliche Haltung zum Thema KI (siehe oben) ansieht, dann schadet es nicht, das so deutlich noch einmal zu sagen: It’s over, es ist vorbei! 

Ja, es wird auch weiterhin gedrucktes und analoges Zeug geben. Ich habe mir beispielsweise am Wochenende mal wieder den Spaß erlaubt, ein paar Vinyl-Platten zu kaufen und zwei gedruckte Bücher zudem. Aber das ist letztlich auch nur ein Beleg für das Omni-Channeling der heutigen Tage. Ich höre also meine Musik situationsbedingt auch mal analog und ich lese ebenso situationsbedingt mal analog. Nach Lust und Laune also. Daraus sollten Sie bloß besser nicht schließen, dass die Welt sich jetzt wieder rückwärts bewegt. Der Kern des Ganzen bleibt weiter digital.

Es hilft also nur eine Radikal-Digitalisierung. Vergessen Sie diejenigen, die Ihnen was von Haptik erzählen wollen und von den Gefahren der KI und davon, dass noch nie ein Medium das andere verdrängt habe. Das sind Placebos.  

Smartphones, Elektrofahrzeuge, künstliche Intelligenz (KI). Eine analoge Welt wird schnell digital, und Deutschland und unsere Branche erkennen nur schmerzhaft langsam, dass dies der Fall ist.

Auf der anderen Seite: Es ist nie zu spät, um richtig anzufangen. Aber nicht vergessen: Diese Veränderung beginnt im Kopf. Verabschieden Sie sich also von ein paar liebgewonnenen, aber dennoch falschen Glaubenssätzen. Und machen Sie es richtig: Was man tue, solle man nie „half-assed“ tun, hat Kamala Harris in ihrer ersten großen Rede bei den Demokraten gesagt. 

Das PDF ist „half-assed“. Falls Sie mal wieder so was als Strategie verkauft bekommen, denken Sie an Kamala Harris.

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