Zeitungen und das Warten auf einen abgefahrenen Zug

Über die Zukunft von Printmedien macht sich die Branche gerade wieder ziemlich viele Gedanken. Das könnte auch daran liegen, dass ein bekanntes Objekt der Printmedien gerade hat verlauten lassen, selbst keine allzu große Zukunft mehr zu sehen. Auch wenn Verlag und Chefredaktion der „Frankfurter Rundschau“ naturgemäß die Dinge etwas anders sehen, de facto hat sich die „Frankfurter Rundschau“ als eine eigenständige Zeitung weitgehend erledigt. Das ist ebenso schade wie unvermeidlich. Wenn es denn stimmt, dass alleine für 2010 Verluste in zweistelliger Millionenhöhe erwartet werden, dann ist ein Geschäftsmodell am Ende.

Bei allen Besonderheiten, die der Fall „FR“ hat: Er ist bezeichnend für das, was wir im Tageszeitungsgeschäft auch in Deutschland in den kommenden Jahren noch öfter sehen werden. Das Siechtum der „FR“ ist nicht einfach nur das Siechtum einer Redaktion oder einer einzelnen Zeitung, sondern eines ganzen Genres. Besonders in den letzten enorm nachrichtenintensiven Wochen hat man sehr schön gesehen, woran es hakt. Zum einen: Am (Träger-)Medium selber. Papier ist geduldig, aber eben auch furchtbar langsam. Vor allem dann, wenn man als Maßstab nicht mehr Tschernobyl 1986, sondern die Zeiten des mobilen Internets und der Beinahe-Echtzeit-Kommunikation heranzieht. Damals war die Zeitung als solche noch eine wichtige Nachrichten-Quelle. Ich vermute, dass in den letzten Wochen niemand, nicht mal der größte Digital-Verweigerer (beispielsweise Hauptstadtjournalisten) auf die Idee gekommen wären, sich ihre Nachrichten über Fukushima, Libyien oder Landtagswahlen am kommenden Tag aus der Zeitung zu holen. Noch dazu, wo Fukushima dumerweise an einem Samstag so richtig akut wurde und am Sonntag meistens keine Zeitung erscheint. Soll ich also ernsthaft warten, bis mir die Zeitung am Montag verkündet, dass am Samstag in einem Reaktor eine Kernschmelze eingetreten ist? Dabei ist das für die Blätter kein Ereignis, das man mal eben unter der Kategorie „dumm gelaufen“ abhaken kann. Sondern eines, das einen schleichenden Prozess befördert. Je öfter man die Überflüssigkeit eines Mediums vor Augen geführt bekommt, desto größer ist die Bereitschaft, darauf auch dauerhaft zu verzichten. Für die meisten Blätter in Deutschland dürften demnach die vergangenen Wochen im Nachrichten-Dauerfeuer ein böses Desaster gewesen sein.

Und das trotz oder vielleicht gerade wegen des Webs. Nein, nicht weil die bösen Googles und Facebooks dieser Welt den Zeitungen das Wasser abgegraben hätten. Sondern weil viele der kleinen und mittelgroßen Zeitungen in Deutschland mit ihren Onlineauftritten gar nicht darauf eingestellt sind, wochenlange Großereignisse angemessen zu bearbeiten. Das „Straubinger Tagblatt“ beispielsweise berichtete am ersten Fukushima-Samstag online so gut wie gar nicht, irgendwie in einem automatisch generierten dpa-Feed stand ganz unten auf der Seite irgendwas von einem Atomunfall in Japan (war ja auch Samstag). Wie soll das auch gehen? Immer noch sind viele Onlineredaktionen von Tageszeitungen kleine Ableger, hoffnungslos unterbesetzt, schlecht ausgestattet, schlecht ausgebildet. Den Anschluss an die großen Redaktionen haben sie lange verloren, was lange Zeit kein Problem gewesen wäre. Die „Glocke“ oder die „Kreiszeitung Syke“ mussten ja schließlich in analogen Zeiten nicht gegen die „Süddeutsche“, den „Spiegel“ oder die „Hindu Times“ konkurrieren. Heute müssen sie, ob ihnen das passt oder auch nicht.

Gelesen und gehört habe ich in den letzten Tagen oft die (berechtigte) Frage: wie denn dann weiter? Und immer öfter komme ich zu der banalen Erkenntnis: egal, Hauptsache nicht auf Papier. Man spricht ja momentan immer wieder sehr gerne von der Bedeutung des guten, hehren und qualitativ hochwertigen Journalismus, begeht dabei aber häufig einen Denkfehler. Nämlich zu glauben, dass dieser hochwertige Journalismus in irgendeiner Verbindung zum Trägermedium steht. Zeitungsleute glauben ja oftmals immer noch, dass eine Geschichte gut oder besser ist, weil man sie gedruckt lesen kann. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Eine Geschichte ist immer gut, wenn es keine Rolle spielt, wo man sie liest. Ich habe bis vor wenigen Jahren selber anderes geglaubt und behauptet; ich dachte beispielsweise immer, dass das „SZ-Magazin“ eine Sache ist, die man lieber als Heft in der Hand hat. Gestern habe ich allerdings dieses wunderbare Streitgespräch gelesen, auf dem iPad übrigens, und es war mir völlig egal. Es war eines jener Stücke, für die ich das SZ-Magazin so schätze. Papier? Brauche ich nicht. Ich brauche gute Geschichten, das ist alles.

Damit schließt sich der Kreis und zeigt damit gleichzeitig, wie wahnsinnig schwierig es für viele Zeitungen wird, das verlorene Terrain noch zurückzuholen. Denn dass die „FR“ jetzt de facto kaputt gegangen ist, lag nicht daran, dass man nicht alles versucht und einiges sehr respektabel gemacht hat. Die „FR“ hat einen radikalen Relaunch hingelegt, der unbeschadet der Debatten über Tabloids durchaus dem entsprach, was man von Tageszeitungen schon lange fordert: weniger Nachricht, mehr Hintergrund, Analyse, Reportage, Kommentar. Sie hat ein modernes und ansehnliches Layout bekommen und immer wieder gute, lesenswerte Stücke gebracht. Sie war die erste Tageszeitung in Deutschland, die eine wirklich gute iPad-App hingelegt hat. Alles — oder zumindest vieles — richtig gemacht in der letzten Zeit, für eine Rettung als eigenständiges Blatt hat es trotzdem nicht mehr gereicht.

Das werden wir in Zukunft noch öfter sehen. Für viele Blätter ist der Zug schon abgefahren, sie wissen es nur noch nicht. Sie stehen am Bahnsteig und wundern sich, wo dieser verdammte Zug eigentlich bleibt.

Dieser Beitrag hat 10 Kommentare

  1. Marian Semm

    Ich finde ja, dass Zeitungen in Straubing oder Syke überhaupt nicht dem Spiegel Konkurrenz machen müssen, weder auf Papier noch im Netz. Aber wenn die Zeitungen in Straubing und Syke irgendeine Zukunft haben wollen, dann sollten sie mal langsam damit anfangen, das Internet als Medium zu nutzen und nicht nur als Feigenblatt (wenn ich in dem Zusammenhang schon höre: dpa…). Meinetwegen müssen sie gar nicht von einem Atomunfall in Japan berichten, dafür aber aktuell und vollständig auf digitalen Wegen aus Straubing oder Syke. Ich habe in den vergangenen 15 Jahren erlebt, wie die Kleinanzeigenärkte pulverisiert wurden, wie die Anzeigenumsätze sich halbiert haben (wohlgemerkt die Euro, nicht die Millimeter) und wie die Wikipedia eine 200-Mann-Redaktion in Leipzig von einem Tag auf den anderen erledigt hat. Von all denen, die jetzt nicht reagieren, die jetzt nicht ihre Organisationen vorbereiten, möchte ich in zwei, drei Jahren kein Rumgeheule hören.

  2. kadekmedien

    In Sachen Lokalzeitungen möchte ich Ihnen ebenfalls widersprechen. Die “Glocke” oder die “Kreiszeitung Syke” müssen eben nicht gegen die “Süddeutsche”, “Spiegel” et al. konkurrieren. Gerade die Konzentration auf das Lokale ist im digitalen Zeitalter die Stärke der kleinen Lokalzeitungen – muss ja nicht auf Papier sein. – Und ich bilde mir ein, auf Ihrem Blog schon Entsprechendes gelesen zu haben…

  3. cjakubetz

    Ich meinte damit nicht zwingend inhaltliche Konkurrenz. Natürlich muss die Kreiszeitung Syke jetzt nicht versuchen, Geschichten wie der „Spiegel“ zu schreiben. Was ich meinte, ist einfach die quantitavie Konkurrenz, die sehr viel größer geworden ist. Früher hat man seine „Kreiszeitung“ vielleicht auch u.a. deswegen gelesen, weil es vor Ort nicht sehr viel mehr gab, was man problemlos bekommen konnte.

  4. Lars Hennemann

    Es ist wie damals, als das Auto die Kutsche ersetzte. Gewinnen werden am Ende die, die kapieren, dass ein bereits vorhandenes, seit eh und je unverändertes Grundbedürfnis der Menschen (Mobilität respektive Neugier, um im Bild zu bleiben) gesteigert befriedigt sein möchte. Deswegen müssen Zeitungen sich radikal ändern, und deswegen hat Herr Semm absolut recht. Jammern hilft nichts. Aufregung aber auch nicht, und deswegen müssen die Redaktionen jetzt von der Kutsche aufs Auto, sprich ins Internet springen. Und das so glaubhaft, dass man auch dort von ernsthaftem, werthaltigem Journalismus reden kann. Denn auch dort tut er dringend Not. Eine Wolke ist zwar schnell und klug, das haben wir unter anderem bei Guttenberg oder Fukushima gesehen. Aber sie ist auch kakofonisch und wird deswegen ihrem Wesen nach niemals ein anderes, uraltes Grundbedürfnis der Menschen befriedigen: sich im sicheren Gefühl, Teil einer verfassten, auf gleichem Wissensstand beruhenden Öffentlichkeit zu sein, um Lagerfeuer/Priester/Bänkelsänger/Flugblätter/Zeitungen/Radios/Fernseher/redaktionelle Portale zu versammeln (eventuelle anwesende Medeinhistoriker mögen mir diesen Schnelldurchlauf verzeihen). Was zur eigentlichen Kernfrage führt: Wer kann und will Redaktionen jenseits von GEZ-Zwangsgebühren im Netz noch bezahlen? Karussell fahren kostet Geld, auch wenn Google, Facebook und Co. uns etwas anderes weis machen wollen. Aufgabe der Verlage ist es, hoffentlich einmal durchsetzbare Bezahlmodelle für digitalen Content durch Leistung und entsprechende Angebote zu rechtfertigen.

  5. Ueli Custer

    Wie man heute eine Lokalzeitung macht, ist auf http://www.jungfrauzeitung.ch/ zu sehen. Konzentration auf das Wesentliche. Alles über das Geschehen im lokalen Raum, gar nichts über das Geschehen ausserhalb das keinen direkten Einfluss auf die Region hat.

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.