Wie Journalisten mal den Wulff retteten

Wenn Christian Wulff seinen Enkeln in 20 Jahren mal die Geschichte seiner wundersamen Rettung im Amt des Bundespräsidenten erzählen wird, dann könnte seine Erzählung damit enden: „…und stellt euch vor, gerettet haben mich die, die mich eigentlich stürzen wollten.“ Und wenn die Enkel dann fragen „Die Geerkens?“, wird der Alt-Bundespräsident laut lachen, an seinem Saft nippen, den er so gerne trinkt, und sagen: „Nein, von den Journalisten.“

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Zurück im Jahr 2012 muss man erstmal feststellen, dass es eigenartige Tage sind und ein bizarres Schauspiel zudem. Journalisten versuchen sich in Machtspielen, verbeißen sich seit Tagen in Angelegenheiten, zu denen es schon seit Wochen nichts neues mehr zu berichten gibt – und lösen statt der zunächst befürchteten Staatskrise (die natürlich nie ernsthaft zur Debatte stand) eher eine Journalismuskrise aus. Kann es sein, dass das Publikum gerade genervt von uns ist? Weil es festzustellen glaubt, dass es hier inzwischen nicht mehr um die Sache, sondern ums Prinzip geht? Diejenigen, die seit Wochen die Causa Wulff immer und immer wieder am Leben zu halten versuchen, haben Wulff unter dem Strich den größtmöglichen Gefallen getan: Indem sie  die Anforderungen und die „Enthüllungen“ bis ins Groteske überzeichnet haben, ist ein Solidarisierungseffekt mit Wulff entstanden, den niemand wollte – und der paradoxerweise die Argumentation des Schlossherrn stützt: Irgendwas muss aber dann auch mal wieder gut sein. In der vergangenen Woche nahm die Berichterstattung um Wulff endgültig groteske Züge an. Bettina Schausten wollte die 150-Euro-Bezahlpflicht für Übernachtungen bei Freunden einführen und der „Spiegel“ zeigte sich in der jüngsten Ausgabe besonders investigativ: Der Wulff, so konnte man dem Blatt entnehmen, war schon immer so.  Bereits 2008 nämlich habe Wulff gegenüber Kindern gestanden, sich durchaus merken zu können, wenn jemand kritisch über ihn berichte. Und dass er den entsprechenden Redakteur dann schon auch mal damit konfrontiere (sowas aber auch). Die Nachricht war also, dass ein Politiker sich über schlechte Presse ärgert und dem auch mal Luft macht. Diese Meldung kann man vermutlich über ungefähr jeden Politiker in diesem Land veröffentlichen und vermutlich nimmt es nicht mal der Papst immer gelassen, wenn er unerfreuliche Dinge über sich und seine Kirche irgendwo lesen muss. Kurz gesagt: Irgendwann ist ein Punkt erreicht, an dem alles gesagt worden ist,  nur noch nicht von jedem.

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Zu lesen war dann heute auch noch, dass sich angeblich die Kanzlerin und ihre Koalition intern Gedanken machen, wer im Fall der Rücktrittsfälle auf Wulff folgen könnte. Das kann man natürlich ebenfalls als Beleg dafür werten, wie eng es für den Bundespräsidenten werden könnte, zeigt aber auf der anderen Seite sehr hübsch, wie der (Berliner) Politikjournalismus funktioniert. Natürlich werden sie sich ihre Gedanken gemacht haben im Kanzleramt, weil man ja umgekehrt die Verrisse der Politik nicht lesen wollen würde, sollte Wulff tatsächlich zurücktreten und Frau Merkel stünde vor der Presse und würde sagen: Das überrascht mich jetzt. Über einen Nachfolger haben wir nicht eine Sekunde lang nachgedacht. Man stellt sich dann einen entrüsteten Herrn Deppendorf vor, der in den Tagesthemen die Frage stellt, ob Frau Merkel eigentlich von allen guten Geistern verlassen sei. Noch dazu, wo jetzt schon ein gewisser Karl-Georg Wellmann als erster Abgeordneter der Union den Rücktritt Wulffs gefordert hat. Man darf in dem Zusammenhang gespannt sei, ob man den Namen Karl-Georg Wellmann jemals wieder in den Schlagzeilen von Spiegel oder SZ lesen wird. Vermutlich eher: nein.  Aber wenn doch jetzt endlich mal einer aus der Union den Rücktritt fordert, darf man es bringen, selbst wenn es ein Hinterbänkler war. Zur Stunde berichtet „Spiegel Online“ zudem noch, dass auch der Vorsitzende des DJV, Michael Konken, seine Teilnahme am Neujahrsempfang des Präsidenten abgesagt hat. Kann es noch klarere Anzeichen dafür geben, dass es um Wulff demnächst geschehen ist?

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Der Sache selbst (und sich selbst natürlich) haben die Dauerempörten in den Redaktionen keinen sehr großen Gefallen getan. Weil es in der Sache natürlich diskussions- und fragwürdig ist, wenn ein Bundespräsident merkwürdige Kontakte zu reichen Freunden unterhält, sich überaus günstige Kredite besorgt und Chefredakteure und Verlagsmanager anruft, um die Berichterstattung wenigstens zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Über diese Sache wird zunehmend weniger geredet, weil es irgendwann einen Solidarisierungseffekt mit jemandem gibt, der als Opfer einer Treibjagd empfunden wird. Am Ende, so schrieb Jakob Augstein heute bei „Spiegel Online“, profitieren davon die, die davon nicht profitieren sollten: die Wulffs und die Guttenbergs. Wulff ist nicht zurückgetreten und wird es allem Anschein nach auch nicht tun. Das kann man bedauern oder eben auch nicht. Einen Rücktritt brachial herbeizuführen, sollte allerdings nicht der Job von Journalisten sein.

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. Wallraff wars

    Nicht ganz. Es wird später nicht von Journalisten im Plural gesprochen werden, wenn Wulff seinen Enkeln von der Rettung erzählt. Der Wallraff war’s, der schließlich – als plötzlich zum Kollegen in Sachen BILD-Aufklärung Erklärter (vom investigativen Bundespräsidentenamt mit „Pressekonferenzen“ zur Vorgehensweise von Journalisten in der Bild…) – der der Wallraff, hierzu als einziger tatsächlich Befigter Plötzlichkollege wird es gewesen sein, der dem Wullf den Gurt am Präsidentensitz festschnallte:

    Sein Urteil: Lebenslänglich.
    http://www.berliner-zeitung.de/medien/wallraff-im-interview-lebenslaenglich-fuer-wulff,10809188,11423300.html

  2. Anita

    Danke für diesen tollen Kommentar, der es auf den Punkt bringt!

  3. Frank Kemper

    Ich fand es sehr interessant – und auch sehr bezeichnend, weil es immer wieder passiert – wie schnell nach dem Aufkommen der ersten ernsthaft schweren Vorwürfe gegen Wulff (Landesparlament belogen, das ist nicht pillepalle) flächendeckend die Forderungen kamen, jetzt müsse die Diskussion auch mal wieder ein Ende haben. Wer entscheidet denn das? Jeder Online-Manager, der Google Analytics bedienen kann, wird sehr schnell feststellen, wann die Meldungen über einen C-Promi im Dschungecamp, das vermutete Launchdatum des iPhone 5 oder die jüngste Entgleistung von Frau Aigner wg. Facebook wieder mehr Klicks bringt als noch ein Stück über unseren trudelnden Bundespräsidentendarsteller. Und so lange Wulff immer noch durchs Dorf getrieben wird, ist das Thema eben noch nicht durch. Da ist auch nichts Schändliches bei. Schändlich würde es erst, wenn zum Beispiel bei Springer auf höchster Ebene entschieden würde, dass man eine Regierung Merkel lieber sehen möchte als eine Regierung Gabriel/Trittin – und deshalb CDU-kritische Berichterstattung zurückfährt. Das ist nämlich – obwohl es in dieser oder anderer Weise schon oft passiert ist – wahrlich nicht der Job von Journalisten.

  4. cjakubetz

    „Bild“ hat heute berichtet, dass Wulff möglicherweise/vielleicht 2007 einen Urlaubsflug mit der Lufthansa mit Meilen upgegradet hat. Ist es das, worüber wir jetzt diskutieren wollen? Um nicht falsch verstanden zu werden: Sobald es substantiell neues und relevantes gibt, müssen Medien tatsächlich darüber berichten. Aber ich sehe das momentan nicht wirklich.

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