Der Lackmustest für uns

900.000 Euro. Auf den ersten Blick denkt man sich: Spinnen die, sind die größenwahnsinnig? Aus „krautreporter.de“ soll demnächst ein unabhängiges Onlinemagazin werden. Finanziert von mindestens 15.000 Menschen, die monatlich 5 Euro bzw. jährlich 60 Euro bezahlen. Bekommen sollen sie dafür ein werbefreies Magazin, geschrieben von einer Art digitaljournalistischen Elite.

Neben einigen anderen Privilegien ist das wohl größte, dass man als registrierter Abonnent auch mitdiskutieren darf, während die anderen zwar lesen, aber nicht kommentieren können. Wer also die „Krautreporter“ abonniert, kauft nicht nur ein Magazin, er kauft sich auch in eine Art Community ein. Vier Wochen hat sich das ambitionierte Projekt Zeit gegeben. Wenn alles klappt, geht das Team unter der Führung von Alexander von Streit im September an den Start. Wenn nicht – war´s ein netter Versuch und alle gehen wieder ihrer Wege.

Dabei ist das Krautreporter-Projekt sehr viel mehr als nur ein weiterer Anlauf, irgendwas mit gutem Onlinejournalismus in Deutschland zu abonnieren. Es ist auch ein Lackmustest. Für den Onlinejournalismus. Und für uns selbst, für uns selbsternannte Journalismusverbesserer, Netzversteher, Medienerklärer, Digitalmenschen. Weil wir zwar (ich nehme mich da keineswegs aus) gerne mal erklären, was man alles machen müsste und was alle anderen, insbesondere etablierte Medien, falsch machen. Aber man uns gleichzeitig durchaus den Vorwurf machen kann, bisher nicht den schlagenden Beweis abgeliefert zu haben, dass wir es besser können. Weil wir bisher zu selten außerhalb unserer Blogs und Twitter-Accounts und Ich-AG´s ein richtig großes Ding auf die Beine gestellt haben. Das Krautreporter-Projekt gäbe uns (und natürlich allen anderen, die gerne mitmachen wollen) die Möglichkeit, gleich unter mehreren Aspekten zu punkten. Und dabei auch noch gleichzeitig ein paar Widersprüche aufzulösen.

Da ist zum einen das große Thema „Geldverdienen im Netz“ bzw. bezahlen für Inhalt. Wir reden ja immer wieder gerne davon, dass man halt einfach besseren Journalismus machen müsste, dann würden die Leute schon dafür bezahlen. Gleichzeitig ist es unser unausgesprochenes Mantra, dass Nutzer wahnsinnig gerne Geld für guten Inhalt ausgeben würden, wenn man es ihnen und uns nur ein bisschen einfacher machen würde. Bitte sehr, hier können wir den Beweis antreten (ich setze jetzt einfach mal voraus, dass wir angesichts der Güte der Autoren gute Sachen zu lesen bekommen): Das Modell ist denkbar unkompliziert, transparent und überschaubar und zudem günstig. Für 5 Euro bekommt man gerade mal ungefähr 1,3 Ausgaben  des „Spiegel“.

Umgekehrt ließe sich bei einem Erfolg des Projekts auch der Beweis antreten, dass man als Journalist durchaus für gute Arbeit gut bezahlt werden kann. Die Autoren sollen einen Text pro Woche liefern, bezahlt werden sie mit Pauschalen in Größenordnungen von rund 2000 Euro. Das ist eine Ansage, wenn man sich zudem vor Augen führt, dass es in Deutschland eine ganze Menge freier Journalisten gibt, die auf einen solchen Betrag gerade mal während eines Monats kommen. 500 Euro für eine gute und aufwändig recherchierte Geschichte: Dieses Honorar muss man bei einem der von uns so gerne kritisierten etablierten Medien erst mal bekommen.

Würden die „Krautreporter“ funktionieren und wären die Geschichten gut, es wäre auch ein Beleg für eine weitere von uns gerne vertretene Theorie: Es gibt im Netz ausreichend Platz für das, was man wohl „Qualitätsjournalismus“ nennt. Oder anders gesagt: Für gute Geschichten, aufwändige Recherche – und ja, auch das: Für unabhängigen Journalismus außerhalb von Konzernstrukturen.

Natürlich gäbe es allerdings auch ein paar andere spannende Fragen, die es dann zu beantworten gilt. Stichwort „Bezahlinhalte“: Was machen Autoren wie Stefan Niggemeier, Jens Weinreich oder Thomas Wiegold dann mit den Geschichten auf ihren eigenen Blogs? Landet da dann – überspitzt gesagt – das Zeug, das bei den „Krautreportern“ keinen Platz mehr hatte? Oder anders gefragt: Wie vermittelt man auch aufgeklärten Digital-Usern, welche Geschichten bezahlt werden müssen und welche nicht? Die Gretchenfrage der Finanzierung des Journalismus: Welchen materiellen Wert hat eine Geschichte? Wann ist ein Niggemeier-Text kostenpflichtig? Bei Bildblog nein, bei den Krautreportern schon, in seinem Blog nicht, in der FAZ schon? Nicht, dass ich das kritisieren wollte, aber interessant ist es schon: Wenn man dann mal so ein eigenes Ding wie die „Krautreporter“ auf die Beine stellt, ist man sehr schnell mit exakt den gleichen Fragen konfrontiert, wie die von uns gerne mal belächelten Verlage.

Ich habe mich auch dabei ertappt, dass ich beim Sinnieren über die „Krautreporter“ über eine meine eigenen Lieblings-Thesen gestolpert bin. Ich erzähle eigentlich fast immer bei irgendwelchen Vorträgen, dass Nutzer am ehesten bereit sind, für die Zugehörigkeit zu einer Art Community zu bezahlen. Und dass deswegen Verlage und Sender weg müssten von der Idee, reine Inhaltelieferanten zu sein. Exakt dies würden die „Krautreporter“ vorexerzieren. Sie wären eine Community – aus mehreren Gründen. Zum einen wegen des schon erwähnten Kommentar-Privilegs für die zahlenden Mitglieder. Zum anderen aber auch deswegen: Das Projekt würde zahlreiche Autoren vereinen, die man zu einem Großteil mit gutem Gewissen als Mitglieder einer großen digitalen Clique bezeichnen kann; wer vergangene Woche auf der re:publica war, hat vermutlich einen großen Teil von ihnen bei diesem Klassentreffen gesehen. Eine Community finanziert sich also ein journalistisches Angebot mit ihren Lieblingsautoren. Das ist auf der einen Seite natürlich eine bestechende Geschäftsidee, auf der anderen Seite aber ein weiterer Schritt in die Filter-Bubblelisierung der Welt. Bei aller Liebe, aber ich ahne natürlich im Groben, was Niggemeier, Weinreich und Freunde schreiben werden. Kein Vorwurf, wer sagt, er ahne auch schon im Voraus, was ich so in meinen Texten schreibe, liegt bestimmt nicht daneben.

Trotzdem war dieser Gedanke so ein kurzer Moment, in dem ich, paradox genug, dann wieder wusste, warum ich manchmal ganz bewusst Zeitungen oder Bücher lese, die erwartbar nicht meine Position vertreten. Warum ich manchmal bewusst bei Spotify auch mal durch Genres höre, die mir eigentlich nicht gefallen dürften. Und warum ich mich manchmal sogar durch das Fernsehprogramm zappe und unlängst bei einem Sender klebengeblieben bin, dessen Name ich hier nicht erwähne, weil ich mich vermutlich sonst um mein Rest-Renomée bringe. War aber überraschend gut.

Was ich damit sagen will: Die Welt ist natürlich erheblich einfacher, wenn ich sie in schwarz und weiß einteilen kann. Meistens ist sie das aber leider nicht, sondern eher grau.  Die Welt wäre aber vermutlich sehr schwarz oder sehr weiß, wenn ich sie mir in erster Linie von Autoren erklären lassen, von denen ich ahne, dass sie bei mir tendenziell eher Kopfnicken statt Kopfschütteln auslösen. Das ist zwar sehr bequem und man braucht das ja auch ab und an, dass man sein eigenes Weltbild bestätigt bekommt. Aber irgendwie hätte ich beim Lesen eines solchen Magazins wie den „Krautreportern“ vermutlich ab und an das selbe maue Gefühl wie beim Scrollen meiner Facebook-Timeline, bei der mir die gnadenlose Logik des Algorithmus alles auszublenden versucht, was mit nach seiner Meinung nicht so sehr gefallen könnte.

Trotzdem, oder vielleicht genau deswegen: Natürlich werde ich die „Krautreporter“ unterstützen. Es gibt sehr viele gute Gründe dafür und eigentlich keinen vernünftigen dagegen. Selbst bei den Punkten, wo ich leise Bedenken habe, möchte ich gerne in der Praxis erleben, wie das dann aussieht. Davon abgesehen, dass ich eine ganze Reihe der Beteiligten an diesem Projekt sehr schätze und mir denke: Wenn die es nicht hinbekommen, wer eigentlich dann?

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