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KI: Der Kellner wird noch lange nicht Koch

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Wenn wir hierzulande über das Thema KI reden, dann gibt es offensichtlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder wir sind euphorisch – oder wir sehen die Welt untergehen. Beides ist nicht nur unangebracht, sondern in den allermeisten Fällen auch von einer groben Unkenntnis der Dinge geprägt. Zeit also für eine realistische Bestandsaufnahme (einschließlich Ausblick auf die kommenden Monate).

In dieser Woche war es mal wieder soweit. Mathias Döpfner, Springer-Vorstandschef, hatte eine Eloge auf die KI in der “Welt am Sonntag“ verfasst, der Deutsche Journalistenverband antwortete beinahe reflexhaft darauf. Beide standen exemplarisch für das, was gerade bei der KI-Debatte schief läuft.

Fangen wir mit Döpfner an. Er bezeichnete KI als gigantische Antwortmaschinen und ging damit wie so viele andere auch einem Missverständnis in die Falle. Zu glauben, KI sei quasi das bessere Google und würde statt unzähliger Links einfach nur zusammengefasste, schnellere und bessere Antworten auswerfen, das mag verlockend sein. Stimmt halt bloß leider nicht. Jeder, der schon mal einer KI beim Halluzinieren zugeschaut hat, der weiß: KI ist beeindruckend gut, leider aber manchmal auch darin, sich Dinge zusammenzureimen, die schlichtweg Nonsens sind.  Dass dies, wie Döpfner fabuliert, eine Art Journalismus-Ersatz werden könnte: weit gefehlt. Das wäre so, als würde man behaupten, statt eine Zeitung zu lesen oder Nachrichten zu hören, könnte man ebenso gut eine Stunde googeln.

Der DJV hat den Döpfner-Beitrag kommentiert und dem Springer-Mann vorgeworfen, der Text hätte auch von einer KI geschrieben sein können. Dumm nur, dass das für die DJV-Replik genauso gilt.

Blinde Technikgläubigkeit sei brandgefährlich, heißt es da beispielsweise. Ein Satz, den Chat GPT vermutlich schon in Version 0.5 geschrieben hätte, wenn es um den DJV geht. Den Satz kenne ich, seit ich den DJV kenne. Ein Satz, so furchtbar inhaltsleer, dass ich staune, wenn Journalisten ihn ernsthaft schreiben. Oder hat schon mal irgendjemand irgendwann mal bei irgendeinem Thema behauptet, der blinde Glaube an irgendwas sei gut?

Und weiter im Phrasentext (das Nachfolgende sind alles Zitate):

Vertrauen ist unsere wichtigste Währung.

Eine solch disruptive Technologie wie KI, die so viele Bereiche der Gesellschaft tiefgreifend betrifft, muss intensiv diskutiert und kritisch begleitet werden.

Die Abgrenzung zwischen Journalismus und dem Rest des Internets muss sein, dass Journalismus Methoden anwendet, die dafür sorgen, dass das stimmt, was da steht. In einer Welt, in der exponentiell wachsender Bullshit zum Alltag gehören wird, ist unser USP, keinen Bullshit zu produzieren.

Ja also, nochmal: Der Kommentar stammt vom stellv. Pressesprecher des DJV. Bei einer KI hätte man gesagt: Naja, gut, ist halt nur ne KI. Wenn allerdings ernsthaft ein Journalistenverband mit solchen müden Phrasen das Thema angeht, fragt man sich leicht schaudernd, ob denn der Verband sich jemals intensiv mit diesem Thema beschäftigt hat.

Was schade ist, weil zwischen den Polen untergeht, welche Potentiale KI für uns Medienmenschen wirklich hat. Versuchen wir also mal eine Bestandsaufnahme jenseits der Euphorie und der Gewerkschaftsreflexe.

Ich könnte aus dem Kopf gerade gar nicht sagen, wie viele KI-Tools wir hier bei HYBRID Eins im Einsatz haben. Es sind etliche, ich glaube, ein Dutzend reicht nicht. 

Haben wir die alle täglich im Einsatz? Aber ja! Spart uns das Zeit? Jede Menge! Haben wir schon einmal ein mit KI erstelltes Projekt irgendwo unbearbeitet verwendet? Natürlich nicht.

Damit ist dann auch schon fast alles gesagt, was man über KI in unseren Jobs wissen muss. KI ist ein wunderbarer Helfer, ein Ideengeber, ein Instrument zur Inspiration. Sie nimmt uns Routine-Arbeiten ab, die wirklich niemand gerne macht. Sie ist vielfach so schnell, wie wir es nie sein könnten. Aber bisher hat sie noch nicht ein kreatives Ergebnis generiert, von dem wir sagen würden: Yepp, prima, kann so raus. Man muss also KI weder für die Neuerweckung der Kommunikation halten noch muss man blind technikgläubig sein, um schon heute eine ganze Reihe sehr guter Anwendungen im Alltag zu entdecken. Die Grenzen dessen werden dabei allerdings gleich mitgeliefert.

Während eines Webinars hat mich mal jemand gefragt: Und, was macht ihr dann mit der ganzen neugewonnenen Zeit? Meine erste Antwort “früher nach Hause gehen” war nur teilweise ernst gemeint. Meine zweite Antwort lautete: Wir können uns jetzt auf Kreativität und die Verbesserung unserer Arbeit konzentrieren – und das war wirklich ernst gemeint.

Nur als kleines Beispiel: Wir produzieren hier eine ganze Reihe von Podcasts. Dazu gehört immer auch, dass man “Dead Air” (also übermäßig lange Pausen), Nebengeräusche oder einfach nur “Ähhhs” rausschneidet. Das dauert. Und, glauben Sie mir: Ich habe noch niemanden kennengelernt, dem das Spaß macht. Es kostet Zeit und ist eine ziemlich stupide Arbeit. Wir haben zwei Tools, beide KI-gesteuert, mit denen sich sowohl diese Vorarbeit als auch die Nacharbeit der super sauberen Postproduktion, des Masterings erledigen lässt. Spart viel Zeit und wir können uns deutlich besser auf die eigentlichen Inhalte der Folgen konzentrieren. Und irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass all die Leute, die diese Jobs vorher machen mussten, jetzt deutlich zufriedener sind mit sich und der Welt.

Selbst, wenn wir denn mal annehmen, dass irgendwann Software in der Lage ist, nahezu perfekte Texte zu schreiben und fantastische Fotos zu generieren und all das zu machen, was Menschen jetzt tun, wenn wir von Kreativität reden: Es wird immer etwas fehlen, was Kreativität auszeichnet, was sie einzigartig macht: Individualität. Jede Form von Kreativität wird erst dann wirklich kreativ, wenn Menschen ihr ihre eigene Note geben. Wenn sie etwas tun, was vor ihnen noch niemand gemacht hat. Wenn sie Regeln brechen und vermeintlich Richtiges in Frage stellen, auseinandernehmen und wieder neu zusammensetzen. Oder gleich mal etwas ganz Neues machen.

Ein paar Beispiele aus der Musik, auch wenn das hier eigentlich gar nicht das Thema ist: Hätte es die Beatles jemals gegeben, wenn sie sich an Regeln gehalten hätten? Die Stones, Bob Dylan, Bruce Springsteen, Pink Floyd? Und was hätte eine KI ihnen empfohlen, wenn es sie damals schon gegeben hätte? Das ist hypothetisch, aber nie wären “Exile on Main Street”, „Sergeant Pepper”, “Born in the USA” , „Blonde on Blonde“ oder “Dark Side of the Moon” rausgekommen. KI kreiert nichts wirklich Neues. Es reproduziert Bekanntes, setzt es, manchmal durchaus beeindruckend, neu zusammen. Aber sie ist nie originell, wenn man den Begriff wörtlich nimmt.

Bevor das jetzt hier zum Proseminar Musik ausartet:  Das gilt auch für Texte. Ganz egal, ob wir von einem Buch oder nur einem kleinen Newsletter wie diesem reden: Texter leben von ihren Eigenheiten. Eine KI kann vielleicht einen Stil imitieren, aber ein Mensch mit all seinen Macken lässt sich nicht einfach so nachstellen. Was gut so ist. Die Vorstellung, nur noch glattgebügelte Texte zu lesen,ist ungefähr so, als müsste man den ganzen Tag Beethovens 10., gebaut von einer KI, hören. Bevor Sie fragen: Die gibt es wirklich. Musikwissenschaftler attestierten der ausführenden KI sogar, die Eigenheiten Beethovens vergleichsweise gut getroffen zu haben. Fehlte leider nur eines: Leben.

Aber wie schon im obigen Podcast-Beispiel gilt auch hier: Standardisierte Texte kann eine KI schon ganz prima. Ich will den Textern von Pressemitteilungen nicht zu nahe treten, bin mir aber sicher, dass in 5 Jahren niemand mehr händisch eine Standard-Pressemitteilung formuliert. Alleine deswegen nicht, weil das im Regelfall keine kreative und originelle Arbeit ist.Generative KI war nur der Anfang

Davon wiederum abgesehen: Wir reden enorm viel von generativer KI, solche Dinge eben wie GPT oder Midjourney.  Naturgemäß sind solche Tools in ihren Möglichkeiten ein wenig eingeschränkt. Stattdessen kommen jetzt zwei andere Gamechanger auf uns zu. Der erste: Audios. Sie können mittlerweile komplett analysiert und in Einzelteile zerlegt werden (siehe auch diesen ausführlichen Text dazu).

Der zweite: interaktive KI. 

Dabei reden wir quasi von Bots, die von Ihnen festgelegte Aufgaben ausführen können, indem sie mit anderen Menschen und Software interagieren, um die Aufgabe zu erfüllen. Stellen Sie sich das als autonome Software vor, die mit anderen Anwendungen kommunizieren kann, um Dinge zu erledigen.

Ein Beispiel ist eine KI-App, die in Ihrem Namen eine komplexe und voll funktionsfähige App erstellen kann. Ein anderes Beispiel ist eine KI, die in Ihrem Namen an einer Besprechung teilnimmt, aus der Besprechung Aktionspunkte generiert, die Aktionspunkte selbständig ausführt und Ihnen und den Besprechungsteilnehmern anschließend ein Update schickt, wenn sie fertig ist.

Noch gibt es keine autonomen KI-Anwendungen, die in der realen Welt Ergebnisse in der Größenordnung und mit der Genauigkeit von generativen KI-Anwendungen wie ChatGPT erzielen können – noch nicht. Aber wenn es sie geben wird, dann sind GPT und andere generative Anwendungen nur noch Spielzeug.  Assistenten, die uns in vielen Bereichen unserer täglichen Arbeit unterstützen. Aber vermutlich schon sehr bald werden weder Mathias Döpfner noch der DJV an ihren Ansichten zu diesen kleinen Helferlein festhalten. Alleine schon deswegen, weil sich bald zeigen wird, dass sie weder allwissende Antwortmaschinen noch angsteinflößende Technik-Monster sind.

Und egal, ob wir heute von generativer KI, von interaktiver KI oder von Audio-KI reden: Bis sie jemals in der Lage sind, unsere Kreativität komplett zu ersetzen, wird noch viel Zeit vergehen. Wenn das überhaupt jemals der Fall sein wird.

Bei einem Thema hat Matthias Döpfner recht, auch wenn diese Erkenntnis ein wenig spät kommt und mit KI gar nicht so viel zu tun hat. Egal, ob Google, Antwortmaschinen oder das Internet als solches, Journalisten als “Antwortmaschinen” oder Nachrichtenüberbringer verlieren zunehmend an Bedeutung. Das ist zwar schon seit 15 Jahren so, aber schön, wenn diese Erkenntnis jetzt auch mal in Medienhäusern ankommt.Was es also braucht, sind neue Geschäftsmodelle. Und nein, damit meine ich nicht schnöde Paywalls. Die werden nicht funktionieren, solange sich nicht dahinter ein echter Mehrwert verbirgt.

Dazu passend noch eine Meldung aus dieser Woche: Die FAZ hat nach einem guten Jahrzehnt ihren ehemaligen Autoren Holger Schmidt wieder zurückgeholt.  Schmidt hatte sich schon vor 15 Jahren als “Netzökonom” einen Namen gemacht.  Sein gleichnamiger Newsletter heißt jetzt “D:ECONOMY” und ist unter das Dach der FAZ gegangen.  D:ECONOMY definiert sich als eigenes “Vertical” (früher hätte man Ressort gesagt), das sich mit einer eigenen Redaktion auf vielen Kanälen auf dieses Thema spezialisiert.

Experten-Wissen, spezialisiertes Wissen als eigenes Geschäftsmodell, das kommt Ihnen bekannt vor? Kein Wunder. Im angelsächsischen Raum existiert diese Idee schon länger, in Deutschland hat Sebastian Turner diese Idee jetzt aufgegriffen und erfolgreich etabliert. Domänenkompetenz und “Deep Journalism” sind die Schlagworte dazu. Turners Unternehmen “Table Media” läuft ziemlich erfolgreich und zeigt einen Ausweg aus den Paywall-Fallen und SEO-Optimierungen. Mit der FAZ versucht sich jetzt erstmals ein etabliertes Verlagshaus an dieser Idee.

KI wird uns also dazu bringen, unsere Idee von Journalismus und Kommunikation zu überdenken. Wir werden neue Geschäftsmodelle sehen, schon alleine deswegen, weil uns die KI die Routine und die Mittelmäßigkeit abnimmt.

Zusammengefasst also: Angst war noch nie ein guter Ratgeber. Zögerlichkeit auch nicht, blinde Euphorie ebenso wenig. Ich plädiere gerne für so etwas Langweiliges wie Realitätssinn. Sich die Dinge anschauen, sie auf ihre Praxistauglichkeit überprüfen – und sich darüber im Klaren sein, dass das nicht mehr weggeht (gut, bei die letztere Erkenntnis hat es Medienhäuser gegeben die 20 Jahre gebraucht haben, sie sie bei ihnen ankam).

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