Du betrachtest gerade Post-Corona – oder: Warum Zukunftsprognosen meistens Nonsens sind

Post-Corona – oder: Warum Zukunftsprognosen meistens Nonsens sind

Ich muss Ihnen ein Geständnis machen: Ich amüsiere mich immer, wenn sich Menschen und manchmal sogar echte Experten beim Versuch abmühen, den exakten Verlauf der Zukunft vorherzusagen. Meistens geht das schief. Im Falle unserer (digitalen) Gesellschaft nach Corona gibt es für dieses Schiefgehen sicher eine Menge Gründe. Ändert aber nichts daran, dass sich vieles als Unsinn herausgestellt hat. Ein paar Erkenntnisse für die Zukunft insbesondere der Digitalisierung kann man dennoch mitnehmen.

Die Älteren erinnern sich: Es gab mal ein Virus, das die halbe Welt lahmgelegt hat. Und während alles dicht hatte, gab es eine ganze Reihe von Menschen, die über eine Post-Corona-Gesellschaft nachdachten (es gab sogar mal ein Buch mit diesem Titel). Da war dann viel die Rede von New Work, von digitaler Kommunikation, kurz von einer Gesellschaft, in der fast nichts mehr so sein würde wie zuvor. Mittlerweile, kurz vor dem Ende des ersten komplett pandemiefreien Jahres 2023, sind wir ein bisschen schlauer. Und wir wissen: Der Gedanke einer komplett veränderten Post-Corona-Gesellschaft war trügerisch, naiv, was auch immer. 

Zumindest ist sicher, dass es keineswegs so gekommen ist wie gedacht. Weder stehen ganze Bürohäuser komplett verwaist in der Gegend herum, noch ist der Einzelhandel kollabiert. Sogar die Streamingdienste haben offensichtlich ihren ersten großen Höhepunkt hinter sich.

Man kann daraus eine ganze Menge mitnehmen, wenn es um das Thema Digitalisierung, insbesondere für Medien, Kommunikation und unsere Art des Arbeitens geht. Das meiste davon ist völlig ok. Nur hat es mit der Euphorie der vergangenen Jahre nicht viel zu tun. Aber der Reihe nach.

Vom großen bayerischen Unikum Ringsgwandl existiert der schöne Satz, dass sich die Bevölkerung nur wahnsinnig langsam entwickle. Und wenn, dann rückwärts. Ganz so schlimm ist es natürlich nicht. Aber die Post-Corona-Gesellschaft 2023 ist ein schönes Beispiel dafür, warum Veränderungen nun mal meistens eher langsam vonstattengehen. Für mich war das insofern eine interessante Erfahrung, weil ich mich in den letzten 20 Jahren immer wieder mal gefragt habe. Hey, warum zur Hölle gehen die Dinge nicht schneller, von der schleppenden Digitalisierung angefangen bis hin zur Trägheit vieler Redaktionen, die so lange an den Strukturen der 90er Jahre festhalten wollten? 

Post-Corona merkt man: Menschen haben es nun mal nicht so sehr mit radikaler Veränderung. Ob und warum das möglicherweise in Deutschland stärker ausgeprägt ist als anderswo, weiß ich nicht. Obwohl man, wirft man einen Blick auf den Zustand dieses träge gewordenen Landes, schon zu dieser Auffassung kommen könnte. Sicher ist nur: Die meisten waren froh, dass die Corona-Veränderungen wieder vorbei sind. Die meisten sind wieder an ihren Arbeitsplätzen, in den Schulen und Universitäten sind die Video-Tools wieder weitgehend eingemottet und selbst so schöne Sachen wie “Click & Collect” fristen nur noch ein Nischendasein. 

Was man daraus lernen kann: Sobald der Veränderungsdruck nachlässt, ist auch die Bereitschaft zur Veränderung ganz schnell wieder weg. Und noch etwas: Zukunftsforschung und Prognosen sind meistens bestenfalls unterhaltsam. Von den vielen Prognosen, wie sich unsere Gesellschaft durch Corona verändern würde, ist jedenfalls so gut wie keine eingetreten. Im Gegenteil: Am Ende des Jahres 2023 ist die gute, alte Vor-Corona-Gesellschaft mit Macht zurück. 

Prognosen über die Zukunft abzugeben ist also gleichermaßen müßig wie sinnlos. Zukunft muss gemacht und gestaltet werden. Jeden Tag  aufs Neue. Das ist deutlich besser verwendete Zeit als Prognosen zu lesen (auch wenn das, ich geb’s zu, seinen Reiz hat. Aber Lottospielen hat ja auch seinen Reiz).

Unbestritten ist, dass uns die Pandemie und die daraus resultierenden technologischen Entwicklungen eine ganze Menge Möglichkeiten des Produzierens beschert hat. Ohne diese Tools gäbe es unsere ganzen Podcasts beispielsweise nicht, zumindest nicht in dieser Form. Aber das sind eher Ergänzungen und Weiterentwicklungen. Die Welt und unsere Arbeit revolutioniert haben sie nicht.

Irgendwann in der Mitte der Pandemie stellte ich fest (und war damit nicht alleine): Drei oder vier Stunden Zoom oder Teams oder anderer Kram, das ist anstrengend. Sogar anstrengender als Meetings im echten Leben. Und das sagt jemand, der das klassische Meeting in einem Unternehmen in den meisten Fällen für eine Zumutung hält. Müsste ich Gründe dafür aufzählen, wüsste ich gar nicht, wo ich anfangen soll.

Das technische Equipment spielt sicher eine, wenn auch vielleicht nicht die entscheidende Rolle. Aber es macht einfach wenig Spaß, ein Meeting zu machen mit scheppernden Lautsprechern, schlechten Kameras und Mikros und dem auch im Deutschland des Jahres 2023 immer noch gängigen “Ihre Verbindung ist instabil”. 

Das alles weckt übrigens leise Zweifel daran, welchen Sinn ein Zuckerberg-Metaverse machen soll, aber das ist dann wieder ein ganz anderes Thema. Jedenfalls begegnen sich Menschen immer noch ganz gerne im echten Leben, sofern sie nicht gerade Misanthropen sind. Und das ist generell ja auch gut so.

Irgendwann geisterte dann auch mal der Begriff “New Work” durch die Debatten. Und wie das immer so ist in Hype-Zeiten: Auf einmal wurde ganz viel in diesen Begriff reingeworfen und nicht ganz wenige dachten, es sei schon “New Work”, wenn man statt im Büro plötzlich mit seinem Laptop am Küchentisch sitzt. Die Idee, man könne doch ganz prima in solchen Küchentisch-Verbünden arbeiten, hat sich schnell als Nonsens herausgestellt. 

Ja, immerhin ist inzwischen mehr Flexibilität in einige Unternehmen eingekehrt. Nicht mehr gilt jeder, der sagt, er mache einen Tag “Home Office” als Drückeberger.  Aber solange man die Idee “Home Office” nicht genau strukturiert, wird sie per se Unsinn bleiben. Schon alleine deswegen, weil dafür die Voraussetzungen zu unterschiedlich sind. Wer ein eigenes Arbeitszimmer für sich hat, der tut sich leichter damit als der Bewohner einer Zweizimmer-Wohnung in München oder Berlin, der mal eben seine Küche auch zum Büro machen muss. 

Corona hat Bewegung ins Thema gebracht.  Aber ebenso wenig wie das sture Absitzen von Zeit in einem Büro eine Lösung ist, wird die Lage per se besser, wenn jemand von zuhause arbeitet.

Immer wieder hört man da gerade: Der Peak der Streamingdienste sei vorerst erreicht, das Wachstum zunächst gestoppt. Das stimmt und ist dennoch nur ein Teil der Wahrheit. Der andere Teil lautet: Das klassische, lineare TV ist im Sinkflug und man ist kein Defätist, wenn man eine ähnlich schleichende Entwicklung wie bei der guten, alten Tageszeitung sieht. Dass nach dem Eingesperrtsein in der Pandemie die Nutzung der Streamingdienste wieder etwas zurückgehen würde, war zu erwarten. 

Trotzdem sinken vor allem im jüngeren Publikum die Nutzungszeiten des linearen TV immer weiter. Und noch mehr: Bewegtbildnutzung via Stream, YouTube und Social Media ist inzwischen Standard. Auch hier gilt: Es gibt eine Reihe von Gründen dafür. Der Wichtigste weist eine Parallele zum Thema gedruckte Zeitung auf: Die Art der Zustellung ist nicht mehr zeitgemäß und die Vorgabe der Inhalte auch nicht. Wichtiger sind inzwischen Personalisierung und ständige Verfügbarkeit. Beides Dinge, in denen sowohl das lineare Fernsehen als auch die gedruckte Zeitung naturgemäß Defizite haben.

Wenn das also die Trends der nächsten Jahre sind, dann werden die großen Tech-Konzerne am meisten von ihnen profitieren. Amazon hat sich auf dem Streaming-Markt breit gemacht, Google dominiert das Video im Netz, Apple hat mit dem Streaming und den Podcast-Plattformen gleich zwei Standbeine. Sie alle haben weniger das Entertainment oder womöglich (ganz wilder Gedanke) die Information ihrer Kunden im Visier. 

Stattdessen sind Streaming-Plattformen, Handys und Podcasts Bestandteil eines ganz eigenen Business: Medien. Und nein, Medien sind in diesem Fall nicht nur ein Kundengewinnungs-Vehikel, sondern eine hochprofitable Sparte. Eine Sparte zudem, die den konventionellen Medienunternehmen mehr und mehr zu schaffen machen wird. Was Netflix oder Apple als globale Unternehmen an Programm und Eigenproduktionen, ist selbst für große Sender wie RTL oder ProSiebenSat1 kaum leistbar. Wenn man also die großen Vier als die eigentlichen Gewinner der Pandemie bezeichnen will, liegt man sicher nicht daneben.

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.