Unser (Arbeits-)Leben wird virtueller. Was auf den ersten Blick nach einer Binse klingt, bringt mehr Veränderung mit sich, als man meinen könnte. Read More
Laptop und Handy als Arbeitsmittel für virtuelle Arbeitswelten – das ist künftig Standard. (Foto: Pixabay).
Erst mal was zum Schämen: Ich bin früher leidenschaftlich gerne geflogen. Nicht selbst, der Pilotenschein ist immer ein Traum geblieben. Aber als Passagier, da war (und ich glaube: es ist immer noch) Fliegen eines der tollsten Dinge, die ich mir vorstellen kann. Zu besten (oder schlimmsten) Zeiten hatte ich von zwei Airlines irgendwelche besonderen Status-Vielfliegerkarten. Das war gottseidank zu Zeiten, als man dafür noch nicht zum Paria gemacht wurde, weil ganz viele (ich auch) es schlichtweg nicht besser wussten.
Überhaupt, ich war gerne unterwegs. Immer nach ein paar Wochen der klassischen Büroarbeit am fixen Standort wurde ich nervös. Ich brauche Tapetenwechsel, schrie dann ungefähr alles in mir. Dass das hier alles in der Vergangenheitsform steht, hat nichts mit einer plötzlichen Läuterung zu tun. Sondern mit der Einsicht in das Unvermeidliche. Nee, nicht der Klimawandel, der natürlich auch, aber von dem abgesehen: Unser Leben virtualisiert sich gerade in einer Dramatik und einem Tempo, das nicht mal die größten Euphoriker zu Zeiten des Neuen Marktes für möglich gehalten hätten. Und die hielten, die Älteren erinnern sich, jeden noch so großen Nonsens für möglich (das Ende ist allerdings bekannt).
Umgekehrt hatte ich bei vielen Redaktionen und anderen Teams, für die ich gearbeitet habe, immer das unbestimmte Gefühl, dass diese klassische Büro-Struktur ihnen nicht gut tut. Man kommt jeden Tag rein, trifft die gleichen Leute, wickelt seine Routinen ab und geht wieder heim. Ich weiß nicht, wie kreativ man sein kann, wenn man so lebt und arbeitet.
Zoomen ist das neue googlen
Das mit der Virtualisierung habe nicht ich erfunden, obwohl ich das gerne für mich in Anspruch nehmen würde. Tatsächlich hat schon in den 60er-Jahren ein Medientheoritiker das vorausgesagt, was sich jetzt, ein gutes halbes Jahrhundert später, deutlich abzeichnet: So wie früher wird es nicht mehr werden. Zoomen wird bald genauso zu unserem Wortschatz gehören wie googlen.
Das hat, man ahnt es, mit Corona zu tun. So, wie gerade alles, was passiert oder auch nicht passiert, mit Corona zu tun hat. Man kommt beim Staunen kaum mehr hinterher. Meine Frau beispielsweise hat wochenlang in Videokonferenzen virtuellen Unterricht gehalten, obwohl es an ihrer Schule nicht mal ein vernünftiges WLAN gibt. Bei uns melden sich plötzlich Kunden mit Anliegen, die vor allem ein Kriterium haben: Es soll schnell gehen. Sogar bei Kunden, denen man nicht zu nahe tritt, wenn man sagt, dass ihre Entscheidungsprozesse so etwas Ähnliches sind wie bezahlte Profikiller für jegliche Form der Kreativität.
Schnelligkeit also als neuer Maßstab. Könnte damit zu tun haben, dass vielerorts soviel Zeit bei der Digitalisierung verschlafen wurde, dass man jetzt keine Zeit mehr hat.
Was die Virtualisierung angeht und damit verbunden das Fliegen, Fahren, Reisen:
Das wird nicht mehr zurückkommen in dieser Form, nicht nur für mich nicht. Niemand würde ernsthaft behaupten, dass sich persönlicher Kontakt komplett ersetzen lässt, das kann man ja auch gar nicht wollen. Aber um sich mal eben für zwei Stunden mit ein paar Projektbeteiligten zu besprechen, die quer über Europa verteilt sind, muss man beim besten Willen nicht mehr in einen Flieger oder einen Zug steigen. Man muss virtuelle Zusammenarbeit nicht mehr über etliche Cloud-Dienste mühsam organisieren und man muss überhaupt viel weniger müssen.
Das wiederum ist etwas (kleiner Spoiler, jetzt kommt etwas Eigenwerbung), was mir an dem Konstrukt Jakubetz & Laban immer sehr gefallen hat. Auch wenn ich immer gerne unterwegs gewesen bin, mit zunehmenden Alter merkt man (oder besser gesagt: merke ich) zweierlei:
- Man sitzt nicht mehr so gerne in einer wie auch immer gearteten Form von „Büro“.
- Man muss nicht immer mit 15 anderen in einer Kaffeeküche stehen.
Hintern-Plattsitzen wird auch durch Kicker und Tischtennis nicht besser
Außerdem lernt man vergleichsweise schnell, dass unsere Idee von „Agenturen“ (als eine solche sehen wir uns ja, wenn auch im weiteren Sinne) überkommen ist. Zumindest dann, wenn wir darunter verstehen, dass wir im alten Sinne uns alle zusammen den Hintern in „Büros“ plattsitzen. Selbst dann, wenn dieses Büro durch Kicker und Tischtennisplatten aufgelockert wird.
Die Idee dahinter ist auch mit Tischtennis nämlich immer noch die Gleiche: Menschen versammeln sich zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem Ort, um gemeinsam zu einer festgelegten Zeit kreativ zu sein. Das funktioniert meistens leidlich gut. Man sollte den Bildern von gut gelaunten, attraktiven, jungen Menschen mit Smartphones und Tablets nicht zu sehr trauen.Und auch, wenn mir natürlich klar ist, dass ein „Home Office für alle“ auch nicht die Lösung aller Probleme ist: Diese Virtualisierung, die wir jetzt erleben, birgt enorm viele Chancen. Für Flexibilisierung und Schnelligkeit, das vor allem. Wer die mühsamen und mählichen Meetings in vielen Unternehmen kennt, der ahnt, was ich meine. Schnell mal ein paar Leute für einen Video-Call zusammentrommeln, der ggf. nach zehn Minuten wieder vorbei ist, das geht einfach, schnell und bindet kaum Ressourcen. Statt bei einer „Dienstreise“ ganze Tage auf der Strecke zu verbringen,kann man viel schnellere und bessere Ergebnisse im virtuellen Raum erzielen.
Und wenn man die richtigen Leute an seiner Seite hat, kann man sich auch darauf verlassen: Die Leute arbeiten besser, wenn sie ihrem eigenen Rhythmus folgen können. Wenn sie nicht lange Wege zurücklegen und den starren Strukturen des „Büros“ folgen müssen. Selbst das Erstellen und Verschicken sogar sehr, sehr großer Datenmengen erfordert heute nicht mehr die Infrastruktur großer Firmen.
Und ich weiß natürlich auch, dass die Segnungen der Digitalisierung und der Virtualisierung schon länger angepriesen werden. Ganz neu ist das nicht. Dass in dieser Beziehung bisher im deutschen Arbeits-, Agentur- und Medienleben nicht viel umgesetzt wurde, hatte viel mit fehlendem Druck und der daraus resultierenden Trägheit zu tun.
Wenn also diese ganze Corona-Geschichte irgendwas Gutes an sich haben sollte, dann das: Plötzlich werden Dinge möglich, die man noch vor ein paar Wochen für mindestens unmöglich gehalten hätte. Für uns Medienmenschen muss das keineswegs eine schlechte Nachricht sein.