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So long, Print!

Vor rund zehn Jahren, bei einem Spaziergang in Niederbayern, bin ich auf einen alten Holzkasten gestoßen, auf den jemand “Zeitung” geschrieben hatte. Der Kasten stand mitten in einem winzig kleinen Dorf. Dort wiederum wurden dann von einem Kurierfahrer mitten in der Nacht ein paar Exemplare des örtlichen Blattes abgelegt und am nächsten Morgen konnten sich die Abonnenten das Blatt herausnehmen. Was damals noch irgendwie amüsant war, spiegelt heute zunehmend mehr die Realität wider. Und das baldige Ende der gedruckten Tageszeitung. Mit Print war es das bald.

In den letzten Tagen machten Tageszeitungen in Deutschland Schlagzeilen. Keine besonders guten und eigentlich auch keine, die noch irgendjemanden überraschen sollten. Trotzdem waren nicht wenige Menschen anscheinend dennoch überrascht. Und in einem Fall war ein Verlag so kreativ, dass er die Einstellung eines seiner Kernprodukte ernsthaft als Ausweis seiner Innovationsfreude verkaufen wollte. Wie auch immer: Das Jahr 2023 werden wir als das in Erinnerung behalten, in dem das langsame Sterben von Print Fahrt aufgenommen hat. Und in dem aus einem Diskurs von Medientheoretikern konkrete Wahrheit werden sollte. Die gedruckte Tageszeitung kommt an ihr Ende. Und nicht nur das: Allmählich sollte man sich auch die Frage stellen, welchen Sinn das bisherige Konstrukt Tageszeitung noch macht.

Aber erstmal der Reihe nach. Vor ein paar Tagen verkündete die “Hamburger Morgenpost” die Einstellung ihrer gedruckten Werktags-Ausgabe. Wer  Papier haben will, bekommt das künftig nur noch am Wochenende. De facto wird die MoPo also zu einer Wochenzeitung mit tagesaktueller Webseite.

Kurz darauf ließ die Verlagsgruppe Madsack Ähnliches verlauten. Dort werden zwei weitere Lokalausgaben auf eine rein digitale Erscheinungsweise umgestellt. Der Verlag bejubelte das im offiziellen PR-Sprech als eine Art Krönung der Innovation. Tatsächlich ist lediglich das eingetreten, was Menschen meistens außerhalb der Verlage schon lange prognostizieren: Das Drucken und Vertreiben kleinerer Lokalausgaben ist schlichtweg nicht mehr finanzierbar.

Das alles wäre also nicht mehr als die Einsicht in das Unabwendbare. Gäbe es da nicht immer noch eine ganze Reihe von Verlagshäusern, die immer noch an der heiligen Kuh Print  und dem damit verbundenen Geschäftsmodell klammern. Die meinen, ein E-Paper sei ein probates neues Ding. Dabei ist ein E-Paper nichts anderes als ein digitales Abbild der gedruckten Zeitung.

Hat sich nicht die Idee der Tageszeitung als solche überholt?

Die Idee Tageszeitung stellt dagegen in den meisten Häusern noch niemand in Frage. Dabei wäre das eine Frage, über die es sich nachzudenken lohnt: Braucht man ernsthaft ein wie auch immer publiziertes Produkt, das einmal am Tag darüber reflektiert, was gestern war?  Die Tageszeitung ist merkwürdig eingeklemmt zwischend der klassischen Webseite, die zu jeder beliebigen Zeit einen Überblick über den Stand der Dinge gibt – und der Wochenpublikation, die tatsächlich viel eher den Raum und die Grundidee für ein Reflektieren über das Große und Ganze gibt. Der Newsletter am Morgen oder am Abend, das fühlt sich schon eher nach einer sinnvollen Idee für eine Tageszusammenfassung bzw. den Ausblick auf den Tag an. Die Zeitung dagegen, egal ob gedruckt oder als E-Paper, ist ein enormer logistischer und inhaltlicher Aufwand für ein Ergebnis, das sich in schnellere und schlankere Strukturen packen lässt. Von dem her ist die Entscheidung der MoPo nur konsequent und vermutlich die einzige, mit der sie sich retten lässt.

Die großen Blätter wie die SZ oder FAZ haben sich dieser Entwicklung angepasst: Sie machen mehr und mehr Stücke, die Hintergründe, Analysen und Interviews und somit die frühere Domäne der Wochenzeitungen waren. Aber ansonsten? Warum mit einer Geschichte bis zu einem Erscheinungstermin warten, wenn sie jetzt relevant ist? 

Es geht bei dieser Entwicklung um zweierlei.

Die Verlage müssen ihre schwerfälligen Strukturen loswerden

Erstens: Vordergründig und schon ziemlich bald um die grundsätzliche Frage, ob ein solches Geschäftsmodell überhaupt noch Sinn macht. Ich habe es zwar schon mehrfach geschrieben, aber man kann es ja nicht oft genug sagen: In den nächsten Jahren wird sich ein beträchtlicher Teil der bisherigen Abonnenten und Stammleser verabschieden. Er wird, das lässt sich absehen, nicht durch neue Kundschaft ersetzt werden. Untersuchungen und Prognosen gehen davon aus, dass bis 2030 rund die Hälfte der Tageszeitungs-Abos im Feuer steht. 

Bekommt man künftig überhaupt noch jemanden dazu, sich für eine längere Zeit, geschweige denn ein ganzes Leben via Abo an ein Medium zu binden? Natürlich nicht. Wer vergleichsweise günstige Flatrates mit einer maximalen Laufzeit gewohnt ist, unterschreibt nicht für ein Zeitungsabo für ein oder zwei Jahre. So viele Kaffeemaschinen können sie in den Vertriebsabteilungen gar nicht heranschaffen. Und iPads auch nicht. Ein iPad als Prämie, wenn ich mich zwei Jahre an ein Abo binden muss? Das geht günstiger.

Und zweitens: Natürlich braucht es auch weiterhin tagesaktuellen Journalismus. Idealerweise ist so ein Journalismus auch mehr als das hektische Schleudern von irgendwelchen “News” auf Webseiten. Aber tagesaktuellen Journalismus an Produktionszeiten, an einen Redaktionsschluss oder womöglich sogar an die schwerfälligen Strukturen einer Druckerei zu binden, das ist Nonsens. Und zudem weit von dem entfernt, was inzwischen komplett digital aufgewachsene Generationen gewöhnt sind. “Mal schauen, was morgen in der Zeitung steht”, das ist ein Gedanke, der diesen Usern so fremd ist wie Fernsehen in schwarzweiß.  Bis vor ein paar Jahren konnten Verlage diese User noch als eine nicht weiter relevante Minderheit abtun. Heute sind diese User Mainstream.

Vor allem müsste dieser Journalismus sich von seiner Textfixiertheit lösen. Denn auch das gehört zum Medienkonsum 2023: sich aussuchen zu können, in welcher Form man was nutzen kann, ist für diesen Mainstream ebenfalls zur Selbstverständlichkeit geworden.

Können die deutschen Tageszeitungen diesen Switch? Das darf man bezweifeln. Weil die meisten von ihnen über zwei Jahrzehnte hinweg versäumt haben, sich diesem Strukturwandel anzupassen. Und deshalb dürften die Schlagzeilen aus der vergangenen Woche erst der Anfang gewesen sein.


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