Mist, jetzt muss ich meinen ursprünglichen Vorsatz, 2020 nicht über Tageszeitungen zu bloggen, schon das zweite Mal in diesem Jahr brechen. Und wir haben noch nicht einmal März. Kann es sein, dass dieses Jahr unangenehmer wird, als wir dachten? Oder ist das nur eine zufällige Häufung schlechter Nachrichten für die Lokalzeitung? Read More
Wie dem auch sei, hier kommt die eigentliche Nachricht: Die „Rhein-Zeitung“ in Koblenz plant laut einer Meldung des SWR, nahezu alle kleinen Lokalredaktionen zu schließen und sie zu größeren, zentralen Einheiten zusammenzulegen. Der Hintergrund dieses Plans (vorausgesetzt, die SWR-Meldung ist korrekt) ist klar: Legt man ein paar kleine Standorte zu einem großen zusammen, spart man Geld. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist das naheliegend: Der Unterhalt von drei oder vier Häusern kostet einfach mehr als der von einem einzigen. Und dass, ebenfalls aus Controller-Sicht gesprochen, die Lokalredaktion Cochem kein Gewinnbringer ist, liegt auch auf der Hand
(Foto: Pexels/Pixabay.com)
Also, Standorte schließen, zusammenlegen, schon ist alles wieder gut! Diese Idee zeigt zweierlei. Zum einen: Wie groß der finanzielle Druck allmählich wird, unter dem Regionalzeitungen stehen. Zum anderen: Wie wenig in vielen Verlagen immer noch verstanden wird, was das eigentliche Kerngeschäft ist. Und dass es sich leider häufig um Lippenbekenntnisse handelt, wenn Regionalverlage die Bedeutung und die tiefe Verwurzelung mit ihrer Region betonen.
Tatsächlich hat ein solcher Rückzug aus der Fläche nicht nur betriebswirtschaftliche Aspekte. Er hat praktische Auswirkungen und er beschädigt das Image.
Fangen wir erst mal mit Letzterem an: Für Leser ist es ein klares Signal, wenn sich eine Zeitung aus ihrer Stadt verabschiedet. „Die in Koblenz“ interessieren sich nicht für uns, was sollen die Leute dort auch anderes denken? Immer weniger Angebot für immer mehr Geld, das wird künftigen Lesern gar nicht und auch treuen Stammlesern nur noch schwer zu vermitteln sein. Der Leser einer Lokalzeitung lässt sich ungern auf die Rolle eines reinen Kostenfaktors reduzieren. Das unterscheidet im Übrigen eine Zeitung von einer Bank. Auch Banken ziehen sich zurück, schließen kleine, unrentable Standorte. Bankfilialen haben allerdings im Zeitalter der Digitalisierung erheblich an Bedeutung verloren. Sie können weitgehend durch Automaten und das Netz ersetzt werden. Eine Lokalredaktion ist aber mehr als eine Maschine, ein Mittel zum Zweck.
Lokales aus der Retorte funktioniert nicht
Womit wir auch schon beim nächsten Punkt wären. Auch im digitalen Zeitalter lebt eine gute Lokalredaktion noch von Dingen, die schon vor 50 Jahren wichtig waren. Von der Nähe zu Region und Menschen. Davon, dass man weiß, was die Leute bewegt. Davon, dass man abends auch mal im Wirtshaus sitzt. Und davon, dass die Leser schnell mal um die Ecke in „ihre“ Redaktion gehen und mit „ihren“ Redakteuren spricht. Eine Redaktion, die 20 oder 30 Kilometer entfernt ist, erfüllt diese Funktion nicht mehr.
Ich habe es selbst einmal vor etliche Jahren erlebt, welche Auswirkungen es hat, wenn man die Bedeutung dieser Standortnähe unterschätzt. Bei der PNP lagerte man damals im Zuge des Neubaus die Passauer Stadtredaktion gemeinsam mit allen anderen aus. In ein Industriegebiet, rund zehn Kilometer vom Stadtzentrum entfernt. Bei allen anderen Redaktionen funktionierte das mühelos, bei der Lokalredaktion nicht. Es dauerte nicht allzu lange, da wurde die Redaktion wieder zurückversetzt ins Stadtzentrum (wo sie auch heute noch ist). Eine Lokalredaktion gehört in die Stadt – an diesem simplen Grundsatz wird sich nichts ändern, so lange es noch Lokaljournalismus gibt.
Und wie geht es weiter? Auch das lässt sich absehen – und ist so archetypisch für viele Regionalverlage.
Erst einmal passiert: nichts. Gut, ein paar Bürgermeister, Gemeinderäte und Leser werden protestieren. Aber was will man machen, Konkurrenz gibt es keine. Spürbar werden die Auswirkungen also nicht sein, zumindest anfangs nicht. Im Gegenteil. Auf der Zahlenseite werden sich die Schließungen positiv auswirken, weswegen Verleger und Controller sagen: Sehr ihr, ihr Redaktions-Romantiker, so sichert man Zukunft! Jemand, der 30 Jahre lang die Zeitung gelesen hat, bestellt sie nicht so schnell ab.
Für alle anderen aber geht wieder ein guter Grund verloren, eine Lokalzeitung zu lesen. Eine Lokalzeitung ohne Lokal, das ist wie Fernsehen ohne Farbe, wie Radio ohne Ton. Mittelfristig schaltet niemand mehr ein.
Die Spirale für Regionalzeitungen jedenfalls dreht sich schneller. Und schneller.
Und am Ende? War dann wieder das böse Internet schuld!
Bernhard Pörksen ist ein Phänomen. Schreibt in schöner Regelmäßigkeit Bücher, die den Diskurs über die (digitale) Gesellschaft vorgeben. Braucht dafür keinerlei PR-Schnickschnack und muss auch keine fragwürdigen Frisuren tragen. Bleibt immer bei der Sache und rückt das Thema in den Mittelpunkt. Nicht sich selbst und seine Geschichte(n), wie es der eine oder andere selbstverliebte- und gerechte digitale Protagonist tut. Er moralisiert nicht und verzichtet auf jede (sorry für den Ausdruck) Klugscheißerei, für die vor allem Journalisten im Netz berüchtigt sind. Und formuliert auf zehn Seiten in einem Buch mehr kluge Ideen als ich es vermutlich in meinem ganzen Leben schaffen werde. Read More
Trotzdem versteht man seine Gedanken (ok, bei manchen brauche ich zwei oder drei Anläufe). Was damit zusammenhängt, dass Pörksen nicht dauerberauscht von seinen eigenen Formulierungen ist. Und er widersteht der Versuchung, aus jedem Satz mit dem gewaltsamen Einsatz von Wortspielen und aberwitzigen Synonymen ein unerträgliches Wortgeklingel zu machen.
Vermutlich ist er deshalb sowohl Markus-Lanz-kompatibel als auch jederzeit auf der re:publica einsetzbar. Muss man, ganz ohne Ironie, erst mal hinbekommen. Es gibt eine Reihe von re:publica-Speakern, die man sich bei Lanz lieber nicht vorstellen will.
Gleichzeitig hat Pörksen einen untrüglichen Instinkt dafür, was die Gesellschaft gerade bewegt. Ich warte auf das erste Buch von Pörksen, das erscheint und dann das Thema des Buchs erst nach Erscheinen so richtig trendy wird (ok, das war jetzt ironisch). Im Regelfall gibt es von Pörksen zuverlässig das Buch zum Trend-Thema.
Daneben ist Pörksen angenehm unprätentiös. Was man, Sie ahnen es, von einer ganzen Reihe anderer Hauptdarsteller des digitalen Lebens nur sehr eingeschränkt behaupten kann.
Man könnte das alles auch abkürzen. Pörksen hat das Kunststück geschafft, innerhalb weniger Jahre zu den selten anzutreffenden Autoren zu gehören, von denen man weiß: Wenn der was Neues rausbringt, sollte man es lesen. Oder sich zumindest schon mal gedanklich mit einer langen Warteschlange bei seinem nächsten re:publica-Vortrag abzufinden.
So etwas Neues gibt es seit heute. Nicht von ihm alleine, sondern zusammen mit jemandem, bei dem man ungestraft den Begriff Koryphäe benutzen darf, ohne in Schaumschläger-Verdacht zu geraten.
Debatten entgleisen manchmal, ohne dass man das will
Dabei ist das Thema selbst (fast) so alt wie die Menschheit: Miteinander reden ist eine schwierige Sache und endet gerne mal anders, als man sich das vorgestellt hat. Es ist keine neue Erkenntnis, dass das Netz und dabei wiederum häufig soziale Netzwerke dem gepflegten Dialog tendenziell eher entgegenstehen. Hat vermutlich jeder schon einmal erlebt: Man schaut mit dem Abstand eines Tages auf eine Diskussion bei Twitter oder Facebook – und wundert sich über sich selbst. Solche Retrospektiven führen manchmal dazu, dass sich Menschen komplett aus einem Kanal zurückziehen. Vermutlich dauert es nicht mehr lange, bis irgendjemand zum Habeck-Effekt eine Doktorarbeit schreibt.
Pörksen und der Kommunikationspsychologe Friedemann Schulz von Thun haben sich für ihr Buch „Miteinander reden“ passenderweise die Form eines Dialogs, eines Gesprächsprotokolls ausgesucht. Ich bin, zugegeben, erst ein wenig zurückgezuckt, weil ich Gespräche über eine Länge von 150 Seiten eher ungern lese (das ist nur ein ganz persönliches Empfinden). Aber natürlich hat dieses Gespräch eine klare Struktur, es mäandert nicht einfach vor sich hin. Pörksen und Schulz von Thun bringen dabei das Kunststück hin, dass man dem Dialog gerne folgt.
Erstens, weil es klare Kapitel und Inhalte gibt. Zweitens, wen wundert es, fallen dabei so viele schlaue und erhellende Sätze, dass einem vor lauter zustimmenden Kopfnicken irgendwann das Genick wehtut. Und das, obwohl die beiden Wissenschaftler manchmal einen derart pastoralen Ton anschlagen, dass ich amüsiert vor mich hingegrinst habe. Das verging mir immer dann, wenn ich Begriffe irgendwo nachschlagen musste, weil ich keine Ahnung hatte, was das sein könnte. In dem Moment kam ich vor wie bestraft für meine Unwissenheit und Ignoranz und dafür, dass ich mich über den pastoralen Ton amüsiert habe. Nennen wir es also elaborierten Code, das klingt besser und ich kann nebenher belegen, wenigstens ein bisschen in der Schule aufgepasst zu haben.
Kurz gesagt: „Miteinander reden“ ist gerade in den Zeiten, in denen das miteinander reden zunehmend schwierig wird, auf jeder Seite lesenswert. Weil Pörksen und Schulz von Thun unaufgeregt und präzise analysieren, auf Wertungen beinahe vollständig verzichten und am Ende den Leser mit dem Gefühl zurücklassen, dass diese Sache mit dem „Miteinander reden“ doch so schwer nicht sein kann, verflixt noch mal!
Wie das immer so ist bei Hypes: Jetzt kommen die ersten, die sagen, dass es mit dem Hype um Podcasts langsam zu Ende geht. Das ist blühender Unsinn – die Party geht jetzt erst richtig los. Read More
Zwei Meldungen und Zahlen, die auf den ersten Blick nicht zusammengehören, die aber dennoch interessant sind.
Die Erste: Angeblich gibt es erste Anzeichen für ein Abflauen des allgegenwärtigen Podcast-Hypes.
Die Zweite: Angeblich haben jetzt schon über 60 Prozent der deutschen Zeitungsverlage einen oder sogar mehrere Podcasts.
Zur ersten Geschichte: Bei Digiday.com ist die Rede von einem ersten Nachlassen des „Goldrausches“, eine deutsche Zusammenfassung findet sich hier. An der Formulierung von „Digiday“ erkennt man schon einiges:
Ein Goldrausch ist eben immer auch ein Rausch. Und dass man im Rausch schon mal Unfug macht, weiß jeder, der schon mal einem Rausch erlegen ist. Ein „slowing down“ heißt wiederum nichts anderes, als dass der Rausch langsam nachlässt.
Konkret sieht das beispielsweise so aus: Das Magazin „Politico“ reduziert bei zwei seiner sieben (!) Podcasts die Erscheinungsweise, einer soll ganz eingestellt werden. Dazu kommen noch ein paar andere kleine Beispiele von Podcasts, die zurückgefahren oder eingestellt werden. Das ist bei rund 850.000 Podcasts, die es aktuell weltweit geben soll, vermutlich ein stinknormaler Vorgang, der sich täglich wiederholt.
Klar ist aber auch: In solchen Hype-Phasen gibt es viele, die einfach mal ausprobieren. Und es gibt ebenso viele, die irgendwo mal gehört haben, dass man so einen Podcast jetzt unbedingt haben muss. Das Ergebnis: viele Podcasts, in denen man einfach was ausprobiert und ebenso viele, in denen fröhlich vor sich hin dilettiert wird. Das sind die ersten Kandidaten für sanftes Entschlafen.
Wer schon ein paar Tage im Netz unterwegs ist, wundert sich über so etwas nicht. Weil er dasselbe auch schon bei Blogs, Videos, Scrollytelling, DDJ und (hier bitte Hype Ihrer Wahl einsetzen) erlebt hat.
Bricht jetzt also gerade alles ein, was eben noch als das nächste große Monster-Ding gefeiert wurde? Auch das nicht. Man kann es Marktbereinigung nennen. Oder auch einfach nur: Normalisierung. Oder noch mal ganz anders: So ist das im Netz mit seinen unzähligen Möglichkeiten. So wie es großartige und erfolgreiche Blogs gibt, existieren eben auch unzählige, die auf ungefähr sieben Besucher im Monat kommen. So ist das auch bei Podcasts: Manches weniges läuft ausgezeichnet. Die Mehrheit der 850.000 Shows auf der Welt bleibt unbeachtet oder fristet ein mehr oder weniger auskömmliches Dasein in irgendeiner Nische. Ein klassisches Long-Tail-Phänomen also, zumindest aus Sicht von Distributoren wie iTunes oder Spotify.
Stimme wird zur neuen Benutzer-Oberfläche im Netz
An der grundsätzlichen Bedeutung des Themas Audio ändert sich nichts. Podcasts können im Großen wie im Kleinen funktionieren. Sie eignen sich für große Reichweiten genauso wie als klassisches B2B-Instrument. Audios – oder besser gesagt: Stimmen – werden zunehmend mehr zur neuen Benutzeroberfläche im Netz.
Und ja, auch das muss man in Hype-Situationen immer wieder sagen: Nur weil eine Sache boomt, rechtfertigt sie nicht schlechte und lieblose Produktionen. Kein Mensch braucht noch einen Laber-Podcast. Es gibt Perlen auf dem Markt. Und solche Podcasts, bei denen man sich fragt, was sich der Produzent dabei gedacht hat. Oder ob er überhaupt irgendwas gedacht hat.
Abschied vom Boom? Nicht die Spur.
Und damit kommen wir endlich zur zweiten Meldung. Sie erinnern sich, die mit den über 60 Prozent der deutsche Zeitungsverlage, die einen oder mehrere Podcasts im Portfolio haben. Zugegeben, ich habe gestaunt, als ich das gelesen habe. Das wäre das erste Mal gewesen, dass die deutschen Verlage bei einem großen Digital-Trend wenigstens halbwegs vorne mit dabei gewesen wären.
Das heißt, nee, man muss das gleich wieder einschränken. Über 60 Prozent der „befragten Chefredakteure“ gaben an, ihr Verlag würde regelmäßig Podcasts veröffentlichen. Nachdem man nicht alle Chefredakteure befragt hat, lässt sich natürlich auch nicht sagen, dass 60 Prozent der Verlage…aber lassen wir das, zumindest angehört hätte sich das gut. So innovativ irgendwie.
Man muss zweitens dazu wissen: Die Zahlen stammen vom BDZV, der sich wiederum diese Zahlen von der ihr überaus wohlgesonnenen Unternehmensberatung Schickler erstellen lässt. Wenn man sich das Prozedere ein paar Jahre am Stück angeschaut hat, dann weiß man: Schickler und BDZV, danach erscheint dir die Verlagsbranche wie ein Schlaraffenland innovativer, digitalaffiner Unternehmer.
Die Angebote der Zeitungen klingen wie ein Abbild der Szene: Ein paar Gute, viel Mittelmaß und manches ist erstaunlich schlecht
Aber sei es drum, klingt ja trotzdem erst einmal vielversprechend. Und nachdem der BDZV auch eine Liste mit den podcastenden Verlagen in Deutschland gemacht hat, nehmen wir die doch gleich mal genauer unter die Lupe.
Die nackten Zahlen sehen so aus:
Insgesamt werden 45 Verlagsangebote genannt. Die „Zeit“ taucht aber zweimal auf. Ebenso das „Hamburger Abendblatt“ „Jetzt.de“ und die „Süddeutsche“ werden getrennt aufgeführt. Der Podcast „N-Land“ wird bei zwei Titeln angegeben, ist aber nur einer. Bei „Dalli Dalli“ früher, die Älteren erinnern sich, htten die strenge Jury jetzt gesagt: Das können wir leider nicht gelten lassen, wir müssen drei abziehen. Bleiben also: 41.
Desweiteren moniert die Jury: Der „General-Anzeiger“ in Bonn hat seinen einzigen Podcast zum 30.11. eingestellt, der einzige Podcast der „Märkischen Allgemeinen“ wurde zum letzten Mal nach der WM 2018 gesendet. Realistischerweise muss man also nochmal zwei abziehen. Macht jetzt: 39.
Erste kleine Zwischenbilanz also: Aus dem großen Trendthema Podcast, das mittlerweile von 60 Prozent der befragten Chefredakteure angegangen wird, sind aktuell 39 übrig geblieben.
Zur Einordnung: Im „Zeitungsland“ (BDZV) Deutschland gab es 2019 327 Tageszeitungen mit 1.452 lokalen Ausgaben.
Selbst wenn man nicht meine strengen Maßstäbe anlegt und auch sonst dem Thema „Zeitungen und Podcasts“ wohlwollend begegnet: Von 60 Prozent sind wir noch ein gutes Stückchen entfernt.
Und natürlich muss man wenigstens zwei Sätze zur Qualität loswerden, auch wenn zu ausführlichen Besprechungen Zeit, Lust und Platz fehlen. Man findet unter den Zeitungs-Podcasts buchstäblich alles: Richtig gut gemacht, sehr, sehr hörenswerte Folgen. Man findet leider auch Laber-Podcasts. Und solche, bei denen man sich denkt, dass wenigstens ein paar Euro Investition in technische Grundaustattung kein Fehler gewesen wären.
Warum Zeitungen exemplarisch für die Lage der Podcast-Nation sind
Man kann das Thema also mal wieder schnell schmunzelnd abhaken: Schickler und BDZV präsentieren die deutsche Zeitungen als ziemlich hip. Das ist deren undankbarer Job, man weiß aber auch: Dem ist halt nicht so. Davon abgesehen sind Verlage nicht die einzige Branche, die sich mit der Digitalisierung schwer tun und sich gerne mal die Lage schöner reden als sie ist. Genau genommen ist ein solches Verhalten klassische für Industrien und Branchen, die etabliert sind und sich dennoch erwartbar heftigen Disruptionen ausgesetzt sehen. Da machen Auto- und Zeitungshersteller keinen großen Unterschied.
Trotzdem lohnt es sich, das Thema „Zeitungen und Podcasts“ genauer zu betrachten. Weil man daraus eine ganze Menge mitnehmen kann, wenn man versucht, den Stand der Dinge beim Thema Audio zu erfassen.
Was auffällt (und das war schon bei allen anderen Hypes davor so): Es gibt immer noch erstaunlich viele, sowohl in Redaktionen als auch in Unternehmen, die ein Format oder einen Ausspielweg per se für ein Allheilmittel halten. Aktuell ist das eben bei Podcasts so. Noch dazu, wo die Verlockung auf der Hand liegt. Theoretisch reicht ein Mikro, in das irgendjemand irgendwas reinlabert (daher der Begriff „Laber-Podcasts“). Leider hören sich viele Podcasts auch genau so an. Erstaunlich, wie viel unbrauchbares Zeug auf dem Markt ist. Am schlimmsten finde ich übrigens die, die erstmal fünf Minuten dafür brauchen zu erklären, wer sie sind, was sie machen und warum sie es machen. Die Branche hat sich, zugegeben, professionalisiert. Es ist trotzdem noch ein langer Weg bis zu echter Spitzenklasse. Da machen die Verlags-Podcasts keine Ausnahme: ein paar wenige sehr gut, viel Mittelmaß, manches unfreiwillig komisch. Klingt ein bisschen wie der Querschnitt durch die gesamte Podcast-Landschaft.
Und auch das gilt für alle Hypes: Irgendwann entsteht ein Überangebot, egal ob an Blogs, an YouTubern oder jetzt eben an Podcasts. Wo jeder alles produzieren kann, bleibt das nicht aus. Märkte, die so funktionieren, kennen keine quantitative Marktbereinigung, nur eine qualitative. Soll heißen: Unabhängig davon, ob es nächstes Jahr 850.000 oder zwei Millionen oder nur 500.000 Podcasts auf der Welt gibt, es sind immer noch zu viele.
Mitschwimmen in der Masse ist also keine Strategie. Wer mit seinen Podcasts wirklich etwas erreichen will, muss schon etwas mehr leisten als nur Reinlabern ins Mikro.
Ist das also der Anfang vom Podcast-Ende? Gegenfrage: Weil Politico bei zwei von sieben Podcasts die Erscheinungsweise reduziert – ernsthaft jetzt?
Die Antwort gibt, wie immer in solchen Fällen, der Gartner Hype Circle. Vielleicht können wir uns dann jetzt allmählich in die Phase der Produktivität begeben.
Ein Blick auf neue Zahlen und ein kleines Jubiläum zeigt: Der Kampf um die Zukunft ist für die meisten Tageszeitungen in Deutschland endgültig verloren. Ein Abgesang. Read More
Ursprünglich hatte ich mir für 2020 das Folgende vorgenommen: Das erste Mal in der Geschichte dieses Blogs, die inzwischen schon erstaunliche 16 Jahre geht, nichts, aber auch gar nichts zum Thema (Tages-)Zeitungen zu bloggen.
Dafür gab (und gibt) es eine Reihe Gründe. Der Erste: Das Thema hat, seit ich vor eineinhalb Jahrzehnten das erste Mal darüber geschrieben habe, erheblich an Diskussionspotenzial verloren. Damals konnte man noch leidenschaftlich darüber debattieren, ob Zeitungen eine Zukunft haben. Mit der Behauptung, dass es um diese Zukunft eher mau bestellt ist, gehörte ich mit ein paar anderen zu einer Minderheit.
Teilweise war das lustig. Man drückte uns einfach das Attribut „Blogger“ auf, was so viel bedeuten sollte wie: kannste eh nicht ernst nehmen. Diese Phase zog sich vergleichsweise lang, die Debatten wurden irgendwann ermüdend. Sie brachten kaum mehr Neues hervor. Das hat sich geändert, weil wir inzwischen weniger von vagen Prognosen, sondern von handfesten Zahlen sprechen können. Und die waren und sind für Tageszeitungen unerfreulich, ohne Aussicht auf Besserung. 2018 hatte ich geschrieben, dass es sich dabei um das letzte Jahr handle, in denen die Blätter noch gegensteuern könnten, danach nehme das Schicksal seinen Lauf.
Tatsächlich waren 2018 und auch 2019 keine kompletten Katastrophenjahre. Aber sicher auch nichts, was man als Wendepunkt bezeichnen könnte.
2020 wäre das erste zeitungsfreie Jahr in diesem Blog gewesen. An der Formulierung erkennen Sie: Der Vorsatz hat gerade mal den ersten Monat des neuen Jahres überstanden.
Aber kommen wir noch mal auf 2019 zurück. Das Jahr, aus dem sich ein paar mittelfristige Trends herauslesen lassen.
Erstens: Take the money and run
Das sagen die Engländer gerne, wenn sich jemand am besten aus einem Geschäft verabschieden soll. Diese Idee haben auch letztes Jahr wieder einige beherzigt, allen voran DuMont in Köln. Da wird wohl außer den angestammten Kölner Blättern vom klassischen Zeitungsgeschäft nicht mehr viel übrig bleiben. Das war der prominenteste Fall des letzten Jahres.
Aber auch in weniger bekannten Häusern lässt sich eines erkennen: Tageszeitungen werden ab sofort zu einem Käufermarkt. Für kleinere und auch mittelgroße Häuser kommt gerade vieles zusammen. Sie betreiben ein veraltetes inhaltliches Modell. Das in den letzten Jahren immer größer gewordene technische Gap lässt sich nicht mehr schließen. Dazu kommt fehlendes Digital-Know-how auf inhaltlicher und strategischer Ebene. Und ein Braindrain, den man schon vor Jahren prognostizierte. Gab es früher zuverlässig einen gewaltigen Überschuss an Bewerbern für Volontariate und Redakteursstellen, ist es heute beinahe mitleiderregend, wie Redaktionen um neue Leute betteln.
Nach außen wird das nicht kommuniziert, intern aber ist schon lange klar: Man muss nehmen, was man bekommt. Vor allem Regionalzeitungen sind für junge, begabte Journalisten häufig keine echte Option mehr.
Die Konsequenz ist also klar: Die Großen (von denen gibt es ja immer noch etliche) schlucken die Kleinen. Dass sie ganz geschlossen werden und wir amerikanische Zustände bekommen, wird auf absehbare Zeit nicht passieren. Wohl aber werden wir eine Konzentration sehen. Ohne eine bestimmte kritische Masse, ohne eine echte Konzerngröße sind Regionalzeitungen in den nächsten Jahren nicht mehr überlebensfähig.
Zweitens: Stagnation statt Innovation.
Es ist fünf Jahre her, da kam aus der Szene der Regionalzeitungen das kollektive: Wir haben verstanden! Man arbeitete an den Digital-Angeboten, viele holten sich eigene Online-Chefs, häufig sogar in die Chefredaktionen. Den letzten, konsequenten Schritt gingen viele nicht mehr: Der Onliner wurde eher doch „nur“ Mitglied der Chefredaktion. Die entscheidenden Stellen besetzen immer noch in vielen Fällen die Print-Apologeten.
Selbst da, wo die Ü60-Generation abtrat, setzte man bei der Auswahl der Chefredakteure gerne auf bewährte Print-Männer, die Online zwar als Notwendigkeit, aber keineswegs als Leidenschaft begreifen. Als radikale Ausnahme fallen mir die Kollegen aus Minden ein, die sich mit Benjamin Piel eine Ausnahmeerscheinung unter den Zeitungsmachern an die Spitze des Blattes holten.
Sonst? Viel Stagnation, kaum Evolution, Revolution gleich gar nicht. Manchmal denke ich, dass viele eine eigene Facebook-Seite für eine Digital-Strategie halten. Überzeugende, stringente Ideen, die Technik, Inhalt und auch eine Finanzierungsoption einschließen? Mangelware.
Stattdessen verweist man gerne darauf, dass die E-Paper-Abonnenten stetig mehr werden. Kurz gesagt: Seit 2015 tut sich nicht mehr viel. Manchmal habe ich den Eindruck, viele Häuser haben verstanden, dass sie sich noch auf ordentlichem Niveau durch die nächsten Jahre hangeln können, mehr aber auch nicht. Anders kann ich mir die Ideen- und Mutlosigkeit der letzten Jahre nicht erklären. Und vielleicht ist es ja auch tatsächlich so: Auf Dauer ist das alte Verlagsmodell nicht mehr zu retten. Siehe oben: Take the money and run.
Drittens: Das Lokale, die große vergebene Chance
Zu den erstaunlichsten Phänomen der Zeitungs-Branche gehört das Lokale. Niemand würde bestreiten, dass Lokales großartiger Lesestoff ist. Dass Geschichten aus der Heimat der Hauptgrund dafür sind, dass Menschen zu einem lokalen Medienangebot greifen. Fast alle sind sich auch einig in der Analyse, dass man Lokalredaktionen und ihre Inhalte deutlich stärken müsste.
Die Praxis dagegen: Die Kollegen im Lokalen ackern sich mühsam durch den Alltag. Ihre personelle und technische Ausstattung ist häufig grotesk schlecht. Nach wie vor müssen, vor allem in kleinen Lokalredaktionen, Vereinsschriftführer, pensionierte Oberstudienräte und begabte Hausfrauen das Blatt füllen. Und auch im internen Ranking liegen, allen Sonntagsreden zum Trotz, die Kollegen aus dem Lokalen ganz hinten. Stattdessen immer noch im Rennen: Mähliche Leitartikel des Politik-Chefs, Interviews mit Ministerpräsidenten, Ministern oder Bischöfen, bei denen der Chefredakteur in Begleitung von zwei oder drei Vasallen eine Doppelseite vollschreibt. Man muss Ex-Bild-Chef Kai Diekmann nicht mögen. Aber seine Analyse in der letzten Ausgabe des „Journalist“ war so knackig wie treffend: „Die haben den Schuss nicht gehört.“
Auch hier hilft der Blick nach Ostwestfalen: Wenn man sieht, mit welcher Begeisterung und Leidenschaft Benjamin Piel dort jeden Tag Zeitung macht – so müssten es eigentlich alle tun. Ein uneitler Blattmacher mit unverhohlener Liebe zur Provinz. Was nebenbei auch noch das Argument entkräftet, es gebe keine guten Geschichten im Lokalen.
Tatsächlich ist das Lokale nach wie vor die größte vergebene Chance im Journalismus.
Die Geschichte des iPad steht sinnbildlich für die letzten Jahre
Eigentlicher Auslöser des neuerlichen Bloggens über Tageszeitungen war aber ein ganz anderes Datum. Vor genau zehn Jahren stellte Steve Jobs das iPad vor. Das Gerät, das Springer-Chef Döpfner zu dem Satz veranlasste, jeder Verleger müsste Apple auf Knien danken. Das taten die Verlage bekanntlich nicht. Auch wie Geschichte des iPad verlief nicht ganz so, wie man 2010 hätte denken können.
Trotzdem ist es bezeichnend, wie wenig die Tageszeitungen aus dem einstmals gepriesenen Tablet gemacht haben. Noch heute sind selbst die iPad-Angebote von großen Häusern wie der SZ eher unentschlossene Hybriden zwischen E-Paper und Webseite. Auch bei längerem Nachdenken fällt mir kein einziges sehenswertes deutsches Angebot ein. Auch hier gilt: Bei den größeren Häusern sind sie meistens zumindest ok, bei den kleineren keine Erwähnung wert.
Das ist in vielerlei Hinsicht bezeichnend. Natürlich rettet man ein Verlagshaus nicht mit einer guten App. Aber die Einschätzung „bestenfalls ok, meistens nicht der Rede wert“ trifft auf fast alles zu, was in den letzten Jahren trendete und von vielen Häusern verschlafen wurde. Welches Haus macht richtig gutes Social Media? Wo sind eigentlich die ganzen Podcasts der Zeitungen (mir fallen zwei oder drei ein)? Oder Audiostrategien, Ideen für die Stimme als neue Benutzeroberfläche? Sachdienliche Hinweise gerne in den Kommentaren. Aber außer den berühmten Ausnahmen, die wie immer die Regel bestätigen, finde ich da nichts.
Und so kommt es, wie es kommen muss:
In Deutschland werden gerade mal noch knapp 15 Millionen Tageszeitungen verkauft. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum sind das vier Prozent weniger. Im Segment der 15-20jährigen hat die Zeitung schon heute jegliche Relevanz verloren und ist bestenfalls ein Nischenmedium. Im wiedervereinigten Deutschland sieht das dann so aus (Hinweis: Die Diskrepanz zu den verlinkten IVW-Zahlen erklärt sich dadurch, dass bei Statista die Sonntagszeitungen- und Ausgaben nicht mitgezählt sind).
Wenn man sich zudem die Zahlen der digitalen Angebote ansieht, ahnt man schnell, wo das Problem liegt. Rund 660.000 verlorenen Zeitungsexemplaren steht lediglich ein Plus von 200.000 digitalen Ausgaben gegenüber. Wenn man hier also permanent von einem Plus spricht, ist das eine verblüffende Schönfärberei. In toto handelt es sich um einen Netto-Verlust von über 400.000, der unter dem Strich bleibt. Von den Rückgängen im Anzeigengeschäft reden wir an dieser Stelle noch gar nicht. Geht die Entwicklung in diesem Tempo weiter und die Zeitungen verlieren jedes Jahr unter dem Strich eine knappe halbe Million Leser – ich überlasse es gerne Ihnen, welche Schlüsse sie daraus ziehen.
Sind sie also noch zu retten, die Tageszeitungen alten Schlages? Am Beginn der neuen Dekade und nach einer verlorenen letzten und einem enttäuschenden 2019, dem Jahr des schulterzuckenden „Wird schon werden“, habe ich zumindest für mich selbst eine Antwort gefunden.
Ich glaube nicht, dass ich 2020 nochmal zum Thema Zeitungen bloggen muss. Zumindest nichts mehr, was in irgendeiner Weise überraschend wäre.
Ziemlich leise hat Facebook eine neue Funktion eingebaut. Mit ihr kann man jetzt nachverfolgen, wo Facebook uns auch dann trackt, wenn wir gar nicht bei Facebook sind. Wenn man sich das anschaut, ist man selbst als abgebrühter Bewohner des Planeten Facebook einigermaßen geschockt. Read More
Gestern war ich um 7.42 Uhr beim Laufen. Um 8.40 habe ich mein Training beendet und die dazu gehörende Lauf-App dann noch mal verwendet (in irgendeiner Form). Am Tag davor habe ich um 23.35 Uhr die App noch mal aktiviert. Und kurz danach war ich bei meiner Wetter-App und offensichtlich auch nochmal im Netz unterwegs, irgendwas zu lesen. Ich habe keine Ahnung warum, irgendeinen Grund wird es gehabt haben.
Und ehrlich gesagt: Ich hätte es gar nicht mehr gewusst, was ich vorgestern um 23.35 auf dem Handy gemacht habe.
Aber dafür weiß es: Facebook.
So wie Facebook alles über mein Leben weiß. Jede Kleinigkeit. Man ahnt das ja schon länger und mindestens genauso lange halten sich hartnäckige Spekulationen darüber, dass Facebook über das Handy mithört, wenn die App auf dem Smartphone geöffnet ist. Aber Facebook braucht gar kein Mikro. Sondern nur eine sehr spezielle und gut versteckte Funktion.
Sie heißt: Deine Aktivitäten außerhalb von Facebook. Und sie hält, was der Name verspricht. Leider. Denn tatsächlich ist diese Funktion das größtmögliche digitale Stalking, das man sich nur vorstellen kann.
Woraus das hervorgeht? Seit Anfang dieser Woche stellt Facebook seinen Mitgliedern die Möglichkeit zur Verfügung, genau einzusehen, was Facebook neben den Aktivitäten auf der eigenen Seite bzw. der App sonst noch alles trackt und speichert.
Um es kurz zu machen: ungefähr alles.
Selbst wenn man eigentlich weiß, wie das funktioniert mit dem Tracken im Netz und schon alleine deshalb hartgesotten ist, erschrickt man, wenn man das Ausmaß der lückenlosen Überwachung sieht, das Facebook da aufgezogen hat. Facebook weiß buchstäblich mehr über Sie als jeder andere und vermutlich sogar als Sie selbst. Selbst dann, wenn man seinen Konsum einschränkt und den Riesen auf Diät setzen will, Facebook ist immer dabei, wenn Sie etwas machen. Buchstäblich: immer und überall.
Die Einführung kam wie immer ziemlich leise. Und man muss schon gut suchen, wenn man den Punkt finden will.
Und so kommt man raus aus der Nummer:. Klicken Sie auf dieser Seite auf „Verlauf löschen“. Danach allerdings würde Facebook die neuen Daten weiterhin speichern. Wer das nicht will, muss dies bei Facebook explizit ausschließen. Suchen Sie auf derselben Seite nach der Option zum „Verwalten zukünftiger Aktivitäten“. (Um sie zu finden, müssen Sie vielleicht zuerst auf „Weitere Optionen“ klicken – ich weiß, dass sie es Ihnen nicht leicht machen). Hier geht es dann zur Option „Zukünftige Aktivität verwalten“. Dort lässt sich dann das künftige Speichern endgültig deaktivieren. Wichtig zu wissen: Mit dem Deaktivieren der Off-Facebook-Aktivitäten gehen auch die bisherigen Facebook-LogIns bei Drittanwendungen komplett verloren. Aber ohnehin wäre es keine schlechte Idee, die Zahl seiner Facebook-LogIns zu reduzieren.
Facebook ist ein bisschen wie Trump – kann machen was es will, alle ärgern sich, nichts ändert sich
Und dann kommt ausgerechnet in dieser Woche noch so eine Geschichte: Wirtschaftlich ging es Facebook offenbar noch nie so gut wie heute. Der Laden brummt. Und er respektive Mark Zuckerberg erinnern ein bisschen an das Trump-Paradox. Man ärgert sich über den Laden, er hat ein Image unter aller Würde, man ahnt, dass es sich um eine Datenkrake und Datenschleuder übelsten Ausmaßes handelt – und macht dann schulterzuckend weiter (ich nehme mich da nicht aus, mit der sehr bequemen Ausrede, dass man ja gerade als Journalist gar nicht anders könne als bei Facebook zu sein).
Und trotzdem gehört das große Reich des Mark Zuckerberg zu den erstaunlichsten Phänomen des digitalen Universums. Jede Kritik, jeder noch so große Skandal prallt daran ab. Facebook hat ein Überwachungs-Imperium geschaffen, gegen das sich „1984“ wie ein lustiges Kinderbuch liest. Keine Dystopie ist je auf das gekommen, was Facebook zur Realität gemacht hat.
Soll man sich wundern, wie sehr das soziale Netz und der Journalismus dort immer mehr zu einem Hort gequirlter Belanglosigkeiten und Geschäftigkeit vortäuschender Aufgeregtheit werden? Eher nicht. Wie das im Alltag aussieht, zeigen drei komplett wirre Tweets und die mediale Aufgeregtheit dazu. Read More
Der Fall: Ein gewisser Tom Radtke, 18, Schüler aus Hamburg. Listenkandidat auf dem völlig aussichtlosen Platz 20 der Linken in Hamburg für die kommende Bürgerschaftswahl. Bisher nirgends erkennbar in Erscheinung getreten. Inhaber eines Twitter-Accounts mit rund 150 Followern.
Irgendjemand muss Tom Radtke dann gesagt haben, dass man dieses Twitter unbedingt haben muss, wenn man was werden will in der Politik. Radtke beginnt also zu twittern. Und wie: Drei Tweets umfasst sein Account. Drei Tweets, bei deren Lektüre man mehrere Möglichkeiten ins Auge fasst:
Er war beim Verfassen hoffnungslos betrunken.
Er ist ein Troll, der die Linke möglichst schnell erledigen soll.
Er ist ein Bot.
Er hätte gerne ein bisschen Aufmerksamkeit.
Aber sehen Sie selbst:
Das mit der Aufmerksamkeit hat prima geklappt. In Windeseile sammeln sich Tausende Reaktionen auf seine Tweets, die meisten davon, vorsichtig formuliert, äußern sich eher kritisch. Luisa Neubauer meldet sich, Fridays for Future ebenfalls, alle betonen, diese komische Figur weder zu kennen noch sie zu unterstützen. Und der meistens sehr lustige Micky Beisenherz schreibt nur: Ach. Du. Scheiße.
Ob Radtke von all dem etwas mitbekommen hat, lässt sich schwer sagen. Ich habe keine Reaktion von ihm gefunden, gestehe allerdings auch, dass ich mich nicht durch die Tausende Reaktionen geackert habe. Twitter jedenfalls, dachte ich mir, ist ein eigenartiger Planet. Ein 150-Follower-Account schreibt kompletten Stuss und bekommt dafür Reaktionen in einer Zahl, die in einem grotesken Missverhältnis zu seinen Followern stehen.
Er selbst jedenfalls folgt nur fünf Accounts, darunter zweien von FFF. Und Luisa Neubauer.
Ihm selber folgen allerlei krude Accounts, niemand von Bedeutung, auch keine Politiker. Und neuerdings ein paar Journalisten, weil wirre Äußerungen von 18-jährigen inzwischen für echte Schlagzeilen gut sind.
Und auch hier gilt: Bitte sehen Sie selbst.
Focus, Welt, taz, MoPo, sogar die „Jerusalem Post“. Nicht schlecht für jemand, der bis vor kurzem noch völlig unbekannt war und so einen Quark schon öfter erzählt hat. Laut NDR war er schon 2019 auf einer Demo in Hamburg der Auffassung, nichts sei umweltschädlicher als Krieg (übrigens, trotz aller Distanzierungen heute, trat er da offiziell für FFF auf). Krieg in erster Linie als eine Umweltbelastung zu sehen, ist schon eine putzige Haltung.
Aber hey, auf der anderen Seite: Anders als man inzwischen landläufig glaubt, ist nicht jeder 17-jährige dazu auserkoren, die Welt zu retten. Man könnte auch sagen: Ein junger Mensch diesen Alters darf auch mal Stuss reden, auch wenn dieser Stuss schon schwer erträglich ist.
Aber so ticken Medien und soziale Netze inzwischen: Gestern ein alternder Komiker, heute ein noch nicht ganz ausgereifter „Politiker“, das Netz und die Medien, die immer aufgeregten Gleichmacher, kennen da keinen Unterschied. Das Thema „Relevanz“ geht zunehmend verloren. Wäre es anders, würden Journalisten nicht ausgiebig über den Unfug eines 18jährigen berichten und im Netz gäbe es auch Besseres zu tun.
Und so beschließen wir einmal mehr den Tag im Netz und in Medien leicht kopfschüttelnd, nicht ohne den freundlichen Hinweis, dass so viel Aufregung auf Dauer nicht gut für die Gesundheit ist. Und der schon so oft gedachten Idee, den Konsum von, ähem, „News“ und sozialen Netzwerken weiter deutlich zu reduzieren. Die Zeit ist zu schade für daueraufgeregte Nichtigkeiten. Wie allerdings Journalisten mit solchem Zeug die gebeutelte Branche retten wollen, darüber muss ich dann nochmal länger nachdenken.
Als das „alte“ Jahrzehnt zu Ende ging, habe ich mir den Frust von der Seele geschrieben. Über die Entwicklungen der letzten zehn Jahre, die passenderweise im ganz besonders irrsinnigen 2019 kumulierten. Es war ja schließlich nicht nur der Zustand der Debatten-Unkultur im Netz, den man bedenklich finden musste (und muss). Auch viele andere Dinge im digitalen Leben waren (und sind) nicht so, wie man sie gerne hätte. Ich glaube trotzdem: Mit ein bisschen Glück wird die folgende digitale Dekade eine deutlich bessere. Read More
Dies also ist der Zustand des Internets am Anfang dieses neuen Jahrzehnts: Aus einer ganzen Reihe von guten Gründen herrscht Verwirrung über die vielen technischen Erfindungen, mit denen wir es in den vergangenen zehn Jahren zu tun bekommen haben. Zur Einordnung: Das iPad ist gerade mal zehn Jahre alt, wobei das iPad zu den Dingen gehört, die wir noch am leichtesten verkraftet haben.
Und seien wir ehrlich: Auch wenn es in den vergangenen Wochen wieder mal unzählige „Die 10 Trends des neuen Jahres/Jahrzehnts“-Texte gab, was die grundlegenden Entwicklungen angeht, tappen wir alle im Dunkeln.
Die Handys zum Himmel: Kaum mehr eine Situation im Leben bleibt digital undokumentiert. (Foto: Jakubetz)
Was also ist das nächste große Ding, das berühmte, one more thing , wie es Steve Jobs früher immer so unnachahmlich beiläufig angekündigt hat? Zwar wird uns seit geraumer Zeit angekündigt, dass es mit dem Smartphone dann allmählich auch wieder zu Ende gehe. Aber mit wirklichen Innovationen ist die Tech-Branche zurückhaltend gewesen in den letzten Jahren, wenn man vielleicht mal von Smartspeakern und dem Thema Audio absieht. Aber sonst? Eine eher mühsame Weiterentwicklung eines Gerätes, das es in dieser Form inzwischen seit fast 15 Jahren gibt. Natürlich ist jedes neue iPhone das Beste aller Zeiten. Aber wirklich Bahnbrechendes ist im Hardware-Sektor in den letzten Jahren nicht passiert. Und inhaltlich (wenn wir jetzt mal von Medien und Kommunikation reden) auch nicht.
2019 war mal wieder ein Jahr des digitalen Monkey Business
Das war auch vergangenes Jahr nicht anders. Die technischen IPOs im Jahr 2019 waren bedenklich (Beispiel: Uber), schlechtes und unsolides Wirtschaften wurde entlarvt (siehe We Work). Das Vertrauen in die Technik erodierte (siehe Facebook), selbst als die Großen noch größer wurden (siehe ebenfalls Facebook). Zu wenig wirklich gute Sachen, daneben die übliche Großmäuligkeit von Blendern und Schwätzern, Monkey Business, wie das im Englischen so schön heißt. Alles in allem ein eher jämmerliches Jahr im digitalen Großkosmos.
War es das also mit den Segnungen der Digitalisierung, mit der Erwartung, dass unser aller Leben schöner, besser, bequemer wird? Das Smartphone und ein paar soziale Netzwerke als Quintessenz der letzten zehn Jahre, echt jetzt?
Muss nicht so sein. Im Gegenteil. Vielleicht ist diese Ernüchterung etwas, was sich später mal als der Beginn einer guten Entwicklung herausstellen wird. Wenn man also den „Gartner Hype Cycle“ zugrunde legt – womöglich haben wir dann jetzt das Tal der Enttäuschungen , die Phase der Desillusionierung hinter uns. Und können endlich eintreten in die Phase der Produktivität.
Das Ende des Fanboy-Journalismus
Vor allem jetzt, wo unsere übergroßen Erwartungen an die Technik auf ein vernünftiges Maß reduziert sind und die Fanboy-Tendenzen gegenüber Technologieunternehmen auch unter Journalisten allmählich wieder einen gesunden Distanz weichen. Deswegen muss man nicht jedes neue iPhone in Grund und Boden schreiben. Man darf schon sagen, wenn etwas gut ist. Bloß das, was sich da zeitweise in den Hoch-Tagen von Apple & Co. im sogenannten Tech-Journalismus tummelte, erinnerte zeitweise wirklich an eine Fanclub-Generalversammlung.
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Das größere Problem war (und ist) dabei gar nicht die Hardware. Entscheidender ist: Wir haben immer noch nicht alle Auswirkungen der Technik des letzten Jahrzehnts verstanden und die richtigen Konsequenzen daraus gezogen. Das wäre auch zuviel verlangt. Technologien wie beispielsweise das Telefon oder das Fernsehen haben teils Jahrzehnte gebraucht, bis sie weltweit von 100 Millionen Menschen genutzt wurden. Bei Smartphones waren es dann nicht mal mehr zehn Jahre, bei sozialen Netzwerken wie Instagram teils nur noch zwei Jahre. Und hundert Millionen? Solche Zahlen erreicht heute jedes Schüler-Startup vergleichsweise schnell (oder es geht sofort wieder unter, wir nennen es Netzwerkeffekt).
Klar also ist: Es wird noch dauern, bis wir alle Auswirkungen komplett begriffen haben. Zumindest aber sehen wir klarer als noch vor wenigen Jahren in der Hochphase des ungebremsten Digital-Optimismus.
Was aber immer noch unverändert ist: Vieles an Technik und Plattformen macht immer noch süchtig. Der digitale Hass wird weiterhin um die halbe Welt reisen. Aber es gibt trotzdem einige große, positive Ideen. Manche existieren tatsächlich erstmal nur als vage Idee, anderes ist schön konkreter absehbar.
Also, lassen wir die viele berechtigte Kritik beiseite. Vergessen wir, was in den letzten zehn Jahren war. Schauen wir stattdessen, was besser werden könnte. Zugegeben, manches ist eher stille Hoffnung als wirklich gut zu begründen. Aber trotzdem…
Ausgerechnet TikTok zeigt: Es gibt Platz für neue Ideen und Player
Fangen wir an mit den sozialen Netzwerken, die in den letzten Jahren zur echten Plage geworden sind. Facebook ist eben auch eine echte Hass- und Fake-Schleuder, Instagram eine (manchmal) nervtötende Selbstdarsteller- und Schaumschläger-Generalversammlung und Twitter ist ohnehin eine Parallelwelt geworden. Ich weiß, es gibt auch andere Seiten dieser Netzwerke, aber alles in allem war die Entwicklung der letzten Jahre keine gute.
Und jetzt – kommt ausgerechnet TikTok. Keine Sorge, weder begebe ich mich wieder auf das Niveau eines Elfjährigen noch ignoriere ich die ganzen hinlänglich debattierten Kritikpunkte. Ich halte TikTok auch nicht für die Rettung des Journalismus. Und was die „Tagesschau“ dort verloren hat, verstehe ich bis heute nicht.
Aber darum geht es nicht. Sondern darum, dass der Erfolg von TikTok etwas ebenso erstaunliches wie banales belegt: Die heutige Social-Media-Ordnung und auch die Funktionsmuster sind nicht in Stein gemeißelt.
Ich bin überzeugt, dass man Geld verdienen kann, wenn man Plattformen baut, die dem entgegenstehen, was unseren Umgang mit digitaler Technik so enervierend macht. Es gibt Wege, eine digitale Interaktion zu fördern, die nicht in permanenten Wutausbrüchen endet.
Social Media ist immer noch auf permanente Geschwindigkeit und Aufmerksamkeit ausgelegt
Die Gründe, warum sich ein Großteil der sozialen Medien so giftig anfühlt, sind hinlänglich beschrieben worden. Dazu gibt es keine zwei Meinungen mehr. Sie sind ausgelegt auf permanente Geschwindigkeit und dauernde Aufmerksamkeit. Dinge wie Kontext und Genauigkeit (interessanterweise beides etwas, was guten Journalismus auszeichnet) kommen zwangsweise zu kurz.
In den letzten zehn Jahren haben wir es mehr oder weniger stillschweigend hingenommen. Die Menschen sind nun mal so, sagen Defätisten. Mag sein, aber es ist schon auch die Technik, die das Schlechte im Menschen hervorbringt. Was aber, wenn die Idee, die hinter Facebook und Instagram steckt, überholt ist? Was wäre, wenn es zumindest Gegenspieler zum großen Süchtigmacher-Reich in Paolo Alto gäbe?
Und da kommen wir wieder zu TikTok: Während es bisher schlichtweg undenkbar schien, sich eine neue Art von sozialen Netzwerkprodukten im Schatten von Facebook vorzustellen, ist TikTok trotz aller Kontroversen als chinesisches Unternehmen ein Riesenerfolg (der erste große soziale Erfolg seit Snapchat im Jahr 2011). Und es gibt Raum für mehr. Es gibt Möglichkeiten, neue Kommunikationsformen zu schaffen, die den Nutzern einen Vorteil verschaffen.
Dazu braucht man ein paar Dinge, die vermutlich nicht jeder gerne hört: strikte Durchsetzung von Verhaltensstandards und die Beseitigung der Anonymität. Und vor allem durch werbebasierte Geschäftspläne, die nicht auf der Ausnutzung unserer persönlichen Daten basieren. Jaron Lanier hat dazu immer wieder schlaue Sachen geschrieben. Ist es wirklich so utopisch, dass wir wieder Herren unserer eigenen Daten werden, sie selber verkaufen oder eben auch nicht? Und wäre es nicht an der Zeit zu begreifen, dass es „kostenlose“ Angebote im Netz nicht geben kann, zumindest dann nicht, wenn man Multi-Milliarden-Konzerne betreibt?
Laissez-faire ist eine untaugliche Idee
Kurz gesagt: Das strikte Prinzip des laissez-faire hat sich als untauglich erwiesen. Aber nirgendwo steht erstens geschrieben, dass man nicht auch im sozialen Netz ein paar vernünftige Regeln aufstellen kann. Und zweitens ist vielen Usern lange Zeit nicht klar gewesen, in welchem gigantischen Ausmaß ihre Daten gezogen, sie getrackt und schließlich zu einem Produkt der Großkonzerne gemacht werden. Wenn der Mensch zur Werbe-ID wird, läuft irgendwas alptraumhaft falsch. Aber auch das ließe sich ändern.
So ganz ohne ein paar Sätze zum Thema Smartphone geht es aber in diesem Zusammenhang dann doch nicht. Weil es in den letzten zehn Jahren zum großen Gamechanger in jeder Hinsicht geworden ist. Nichts und niemand kann sich dem Smartphone entziehen. Die Palette reicht von Journalisten, denen man sagt, dass sie künftig in erster Linie für das Handy produzieren, bis hin zu genervten Eltern, deren Kinder weitaus lieber mit dem Schlautelefon kommunizieren als mit dem Rest der Familie.
Eine „menschliche Herabstufung“
Es gab in den letzten Jahren eine Menge Debatten über die Omnipräsenz der kleinen Screens. Über die negativen Auswirkungen all der Geräte, auf die wir uns inzwischen verlassen. (Hinweis: Ich bin mitschuldig im Sinne der eigenen Anklage.) Diese Geräte wurden entwickelt, um Nutzer abhängig zu machen. Bevor Sie es sagen: Man kann für digitale Hardware und Software auch einen sehr vernünftigen und nutzbringenden Umgang entdecken. Es ist bloß verdammt schwer. Ungefähr so, als würden Sie sich vornehmen, pro Tag lediglich noch genau eine Zigarette zu rauchen: Es gibt Fälle, in denen das funktioniert. Ein guter Ratschlag, es doch mal so zu versuchen, ist das dennoch nicht.
Zurück also in die analoge Vergangenheit? Wir alle wissen, dass das erstens nicht geht und zweitens auch keinen Sinn machen würde. Wohl aber könnten wir digitale Gerätschaften effizienter und ohne Suchtgefahren arbeiten lassen.
Das wiederum wird möglich durch (ok, also doch) das Ende der dominierenden Rolle, die das Smartphone in unserem täglichen Leben spielt.
Auf Screens starren und mit den Fingern tippen, wird irgendwann Vergangenheit sein
Ob wir uns nun in Richtung einer intuitiveren Technologie bewegen, die uns umgibt oder die sich in unseren Körper einfügt (ja, das kommt noch) – am Ende der gerade begonnenen Dekade gehört es zur Vergangenheit, ein klobiges Gerät in der Hand zu tragen und es anzustarren. Und wie das Stromnetz, auf das wir täglich angewiesen sind, wird der größte Teil der Technik unsichtbar werden.
Die ersten Paradigmenwechsel erleben wir jetzt schon. Die Idee, auf vergleichsweise winzigen Tastaturen rumzutippen, Informationen zu suchen und dafür mit einem Schwall mehr oder weniger relevanter Links belohnt zu werden, ist auf dem Rückzug. Stattdessen sehen wir zunehmend Sprachsteuerungen, künstliche Intelligenzen und virtuelle bzw. erweiterte Realitäten. Natürlich ist in all diesen Bereichen die Technik noch in einem zu frühen Stadium, als dass sie ernsthaft ein Smartphone ersetzen könnte. Niemand hat Lust, dauerhaft mit einer schweren und klobigen Brille auf dem Kopf in VR-Welten einzutauchen.
Aber wie schnell Technik explodieren kann, haben wir am Anfang der zurückliegenden Dekade gesehen (siehe oben): Das iPad ist gerade mal zehn Jahre alt.
Der Reuters Trend Report 2020 ist draußen – und wie jedes Jahr eine spannende Lektüre. Für das frisch begonnene Jahr sieht er Medien und Journalismus vor ein paar richtungsweisenden Grundsatzentscheidungen, erkennt aber auch ein richtig boomendes Zukunftsfeld. Read More
Die drei wichtigsten Trends hier im Überblick – samt einer kurzen und wie immer subjektiven Einschätzung für den deutschen Markt. Den gesamten Report gibt es hier.
Trend 1: Audio boomt wie noch nie und wird zum großen Zukunfts-Thema
Smartphone und Kopfhörer: In dieser Kombination die möglicherweise interessanteste Kopplung des Medienjahres 2020. (Foto: Pixabay.com/Christo Anestev)
Erst mal das Gute vorweg: Das Thema Audio dürfte im Jahr 2020 einen weiteren Aufschwung nehmen. Keine ganz neue Erkenntnis und hier im Blog schon mehrfach beschrieben, aber es ist ja immer wieder schön, so etwas auch von anderer Seite bestätigt zu bekommen.
Viele der Befragten stützen ihre positive Meinung dazu vornehmlich auf das Thema Podcasts. Was ja auch unbestreitbar ist. Podcasts haben in den vergangenen Jahren eine rasante Entwicklung genommen. Die Szene hat sich professionalisiert und ist inzwischen vielfach eine echte Alternative zum „richtigen“ Radio. Vorbei die Zeiten, in denen Podcaster in fragwürdiger Qualität irgendwas erzählt haben.
Häufiger Einwand: Die Finanzierung von Podcasts sei weiterhin schwierig. Stimmt, solange man dieses Thema auf direkte Finanzierung beispielsweise durch Werbung beschränkt. Damit ist tatsächlich noch nicht viel zu verdienen. Ihre eigentliche strategische Stärke (von den inhaltlichen Vorzügen mal abgesehen) sind eher im Bereich (Content-)Marketing zu finden. Für Riesen wie Spotify, iTunes oder auch Audible (und damit wiederum Amazon) sind Podcasts ein unverzichtbares Kundenbindungsinstrument, um mal ein echtes Wortmonster zu gebrauchen. Aber selbst dann, wenn man aus Podcasts nicht gleich eine ganze Strategie bauen will, sind sie als Content-Marketing-Tool hoch spannend.
Noch ein Wort zu den immer noch eingeschränkten Monetarisierungs-Möglichkeiten für Podcasts: In den USA werden für dieses und das kommende Jahr Wachstumsraten von jeweils rund 30 Prozent für Erlöse aus Podcasts erwartet. Gut, wir sind hier nicht in den USA, aber trotzdem…
Und für Journalismus? Aus meiner Sicht: inzwischen unverzichtbar. Der Trend aus den USA macht sich inzwischen auch in Deutschland breit. Kaum mehr eine große Medienmarke, die nicht eines oder mehrere Audio-Formate im Portfolio hat. Dass es die Mittelständler mal wieder verschlafen…ja, mei. In ein paar Jahren gehen dann wieder die hektischen und am Ende nutzlosen Nachhol-Arbeiten los, aber das muss uns ja jetzt noch nicht interessieren.
Was man nicht unterschätzen sollte dabei: die Rolle der Hardware. Allen voran stehen Smart-Speaker und mobile Gadgets, weil bei ihnen naturgemäß die Sprache dominiert oder zumindest eine immer wichtigere Rolle spielt.
Aber auch Kopfhörer (ja, richtig gelesen) sollte man keineswegs unterschätzen. Ich war in den vergangenen Wochen mal wieder in den USA unterwegs. Vor allem in New York und Washington läuft fast niemand mehr ohne Airpods durch die Gegend. Und die neuen Pro-Modelle von Apple spielen dabei eine besondere Rolle. Nicht nur wegen des Coolness-Faktors, sondern auch, weil sie inzwischen mehr sind als Kopfhörer.
Tatsächlich sind sie auf dem Weg zur Fernbedienung des ganzen Audio-Lebens, einschließlich der Kommunikation. Kaum anzunehmen, dass andere Hersteller nicht auch ihre künftigen Modelle so positionieren werden.
Trend 2: Die Suche nach dem richtigen Umgang mit Plattformen
Was tun auf welcher Plattform? Medien müssen ihren Umgang mit sozialen Netzwerken komplett neu denken. (Foto: Pixabay.com/Gerd Altmann)
Bis heute soll es Medienhäuser geben, die das besinnungslose Posten eigener Inhalte in Social-Media-Kanäle für eine Digitalstrategie halten. Das ist es noch nie gewesen. Inzwischen aber wird die Frage existenziell, nicht nur aus finanziellen Gründen: Wie halten wir es mit Facebook, Twitter und all den anderen?
Das hat vor allem damit zu tun, dass soziale Netzwerke der Bindung an eine eigene Marke nicht sehr zuträglich sind. Im Gegenteil, inzwischen können sie eine kontraproduktive und toxische Wirkung auf Journalismus ausüben. Weil sie zunehmend mehr zu inhaltlichen Giftschleudern geworden sind, in denen Wahrheit und Lüge, seriöse Quellen und glatte Erfindungen für den Durchschnitts-Nutzer kaum mehr zu unterscheiden sind.
Meine Prognose zudem: Insbesondere nach so absurden Diskussionsschlachten wie um die Umweltsau oder Greta im ICE, aber auch dem zu erwartenden Getöse bei den künftigen international und nationalen Wahlen wird es einen Rückzug geben. Wahlweise (wenn man vernünftig ist) wieder zurück zu den seriösen Medien. Oder, was leider genauso wahrscheinlich ist, in den Bereich des „Dark Social“: Gruppen, Messenger, Chats. Dorthin, wo man unter sich ist, andere nicht stören und man je nach Sichtweise der eigenen Wahrheit nachgehen oder noch mehr Irrsinn verbreiten kann.
Naturgemäß betreffen solche Überlegungen vor allem Facebook. Wie geht man mit dem Unternehmen künftig um? Wenn die eigene Facebook-Seite als, hüstel, „Strategie“ möglicherweise ausgedient hat, was kommt dann? Auf Facebook komplett verzichten, das wird sich kaum jemand leisten können. Business as usual? Auch keine Lösung. Noch mehr Netzwerke bespielen, mehr kleine Seiten, eigene Gruppen, kurz: mehr „Dark Social“? An den fehlenden Antworten auf diese Fragen bemerkt man schnell, wie dringlich es 2020 für Medienhäuser sein wird, sich damit zu beschäftigen. Und wie sehr es Zeit wird, sich Strategien zurechtzulegen, die diesen Namen verdienen. Goldene Zeiten an sich für echte Social-Media-Strategen, während der Mittzwanziger, der die Kanäle vollschüttet, weil er sich bei Social Media auskennt, besser zum Auslaufmodell werden sollte.
Wobei sich generell die Frage stellt: Gäbe es mittlerweile nicht ohnehin andere, bessere Ideen zur Generierung von Reichweite?
Und Frage 2: Muss man die eigenen Plattformen weiterhin so lieblos behandeln, wie das an manchen Stellen immer noch getan wird?
Die Frage ist, man ahnt es, rhetorischer Natur. Soll heißen: Kümmert euch wieder mehr um eure eigenen Webseiten, Newsletter, Blogs. Um eure Podcasts, Videos und was es sonst alles gibt. Nirgendwo steht geschrieben, dass Medien nur noch im großen Reich des Mark Zuckerberg publiziert werden dürfen. Und wenn die Menschen wirklich eine zunehmende Social-Media-Müdigkeit verspüren sollten, wäre es prima, man würde Ihnen eine anständige Alternative bieten.
Weil ich gerade darüber sinniere, wie würde man so was dann nennen: Social-Media-Backlash?
Trend 3: Vertrauen in die eigene Leistung, Misstrauen in andere
Bei Reuters wundern sie sich etwas: Offensichtlich halten eine Menge Medienmacher die Leistungen und Perspektiven des eigenen Hauses für wenigstens befriedigend, wohingegen sie die Lage anderer weitaus skeptischer beurteilen. Das sieht dann grafisch so aus:
Das ist ein Phänomen, das ich schon seit vielen Jahren beobachte.
Rede mit den Leuten über die Lage des Journalismus/der Medien allgemein oder über die Situation bei anderen: skeptische Miene, sorgenvolle Einschätzungen. Frag sie nach der eigenen Situation: (fast) alles bestens! In Zahlen: Nur sechs Prozent zweifeln an der Lage des eigenen Unternehmens, während 16 Prozent die Situation des Journalismus als eher schlecht ansehen. Umgekehrt vertrauen 73 Prozent in den eigenen Laden, während dieser Wert bei der Bewertung des Journalismus um satte 27 Prozent zurückgeht.
Nachdem ich kein Psychologe bin, weiß ich nicht, woher ein solches Phänomen kommt. Ebenso wenig habe ich eine Ahnung, ob sich solches Verhalten in jeder Branche findet oder ob das doch eher medienspezifisch ist. Sicher bin ich mir allerdings darin, dass es sich um eine milde Form des Selbstbetrugs handelt.
Zudem glaube ich daran, dass dieser Selbstbetrug eine der Hauptursachen für die zunehmend schwierige Situation im Journalismus ist. Ich mache meinen Job in dieser Form jetzt seit rund 15 Jahren. Und in diesen 15 Jahren habe ich es ungezählte Male erlebt: Ein Chefredakteur oder Geschäftsführer, der mir eben noch eine düstere Übersicht über die Lage der Branche gegeben hat, schildert mir kurz darauf, warum sein Laden davon nicht oder kaum betroffen ist. Darunter, so viel Indiskretion sei erlaubt, auch Leute, die von der jüngeren Vergangenheit Lügen gestraft wurden.
Trotzdem wird sich daran wohl nichts ändern. Siehe die Zahlen für 2020: Probleme haben immer nur die anderen.
Vielleicht muss es ja so sein: Die beiden absurdesten Debatten des letzten zehn Jahre wurden am Ende der Dekade geführt. Einer Dekade, von der sich nicht sagen lässt, dass sie eine gute für Medien, Kommunikation und die digitale Gesellschaft gewesen wäre.Read More
Vor ziemlich genau zehn Jahren, was waren das aus heutiger Sicht für selige Zeiten. Ich zählte mich damals selbst zur Kategorie der unbedingten Digital-Optimisten. Ich war mir sicher, dass die alten Medien ihren eigenen Abgesang eingeläutet hätten (wenigstens in der Beziehung habe ich Recht behalten). Ich dachte, dass das alte Zeug durch wesentlich bessere, aufregendere und schönere Dinge ersetzt würde. Facebook habe ich als netten Ort empfunden, an dem ich beliebig viel Kontakt mit alten und neuen Freunden (und vor allem: richtigen Freunden) halten könnte. Bei Twitter mochte ich die vielen kleinen, geistreichen, witzigen Beiträge. Ich schätzte die Möglichkeit, mich mit meiner eigenen Timeline auf dem Laufenden zu halten. Und mein iPhone 3G starrte ich damals gerne mit verklärtem Blick an und dachte mir: Was für ein tolles Gerät. Kurz gesagt: Die digitale Zukunft kam mir wie ein einziges, großes Versprechen vor.
Jetzt, an der Schwelle der neuen 20er Jahre, denke ich mir: Was ist nur aus euch geworden, Netz und digitale Gesellschaft? Oder, wie es „Die Sterne“ mal in einem anderen Zusammenhang wunderbar formulierten:
Was hat dich bloß so ruiniert?
Fangen wir mal kurz mit dem aktuellem Beitrag zum Ruin an. Das Schlimmste, was man dem WDR vorwerfen muss, ist, dass seine Umweltsau-Satire genau das widerspiegelt, was so ein öffentlich-rechtlicher Rundfunkbeamter vermutlich für bissige, witzige und pointierte Satire hält. Tatsächlich hat das Umweltsau-Liedchen etwas oberstudienratartig Langweiliges an sich. Kabarett aus den 80er Jahren, das wäre als einer der weniger gelungenen Beiträge in einem Dieter-Hildebrandt-Scheibenwischer durchgegangen. Das ist dann aber auch schon alles. Über den Begriff „Umweltsau“ hätte sich damals bestenfalls ein CSU-Rundfunkrat im BR etwas aufgeregt und selbst das ist nicht gewiss. Aber das waren ja auch die 80er, die lange her sind und rückblickend betrachtet keine so schlechte Zeit waren, zumindest, wenn man die heutige Dauerempörung als Maßstab heranzieht.
Was dem Liedchen neben dem fehlenden Witz und Biss ebenfalls ganz sicher fehlte: Jegliches Potential, eine Gesellschaft zu spalten. Meine Oma lebt zwar schon lange nicht mehr, vielleicht hätte sie das nicht wirkich lustig gefunden, aber aufgeregt hätte sie sich auch nicht. Mein Gott, Böhmermann nennt Erdogan in einer Satire Ziegenficker und das sollen wir jetzt die Umweltsau als Anschlag auf eine ganze Generation sehen? Meine Oma hätte sich jedenfalls ihre Lebensleistung sicher nicht von einem trällernden Kinderchor schmälern lassen. Von einem rotznasigen FFF-Tweet übrigens auch nicht. Also, kommt mal alle wieder runter. Sowas nicht auszuhalten hat schon was Nordkoreanisches an sich.
An Bagatellen entzünden sich Debatten, die auch nach Tagen nicht beendet sind
Dabei war der letzte Aufreger gerade erst ein paar Tage her: Da echauffierte sich Social-Media-Deutschland tagelang über Greta, auf dem Boden eines ICE sitzend. Auch da galt: Man kann dazu unterschiedliche Meinungen haben, man kann die Bahn kritisieren und man kann sogar mal die heilige Greta kritisieren. Aber alles in allem wäre auch das früher nicht mal eine Mini-Debatte wert gewesen, weswegen ich gerade beim Schreiben die 80er noch ein kleines bisschen geiler finde (falls Sie auch zu den komplett Ironiebefreiten gehören und gerade losbrüllen wollen, der letzte Satz ist ein bisschen ironisch gemeint).
Am Zustand der Satire und an den grundsätzlichen Haltungen zu Greta und dem Thema Klima lässt sich ablesen, was in der letzten Netz-Dekade passiert ist. Satire darf alles, außer Greta. Satire darf alles, außer Klima. Satire darf alles, außer die eigene Filterblase aufs Korn nehmen.
Umgekehrt können wir über alles reden. Wir müssen aber ständig davon ausgehen, dass ein winziger Nebenaspekt eines Themas eine Debatten-Kernschmelze auslöst. Das führt dann, siehe Greta und die Umweltsau, gerne dazu, dass jeder einzelne Aspekt eines Themas beleuchtet wird, nur nicht der relevante: Über die Klimakonferenz in Madrid wurde vergleichsweise wenig diskutiert. Umso mehr dagegen über Greta im Zug und über die ein bisschen unglückliche Reaktion der Bahn dazu.
Größer als Engel, kleiner als Affen
Der Mensch könne größer handeln als ein Engel – und niedriger als ein Affe, sagt ein Sprichwort. Nimmt man als Maßstab, was das Netz, insbesondere das sogenannte „soziale“ in den vergangenen zehn Jahren manchmal aus uns Menschen hervorbringt, dann müsste man sich bei Affen für den Vergleich entschuldigen. Auch hier sind die letzten beiden Quatsch-Debatten des letzten Jahrzehnts sinnbildlich: Bei der Greta-im-ICE-Geschichte wurden selbst an sich freundliche Menschen plötzlich zu Furien. Und fragen Sie mal den Kabarettisten Dieter Nuhr: Der durfte jetzt 20 Jahre vor sich hinspielen. Seit er ab und an harmlose Greta-Scherze macht, ist er in Teilen der Social-Media-Blase zum Hassobjekt geworden.
Irgendwann kommt dann zuverlässig was mit Hitler und Nazis
Noch bezeichnender und archetypischer lief die Geschichte mit der Umweltsau: Inmitten einer sich zunehmend aufheizenden Atmosphäre twitterte dann noch ein freier WDR-Mitarbeiter, Oma sei tatsächlich keine „Umweltsau“, sondern eine „Nazisau“ gewesen.
Das ist zwar an Dämlichkeit kaum mehr zu überbieten, rechtfertigt aber bestenfalls ein Kopfschütteln vor so viel Dummheit. Schließlich ist das seit Jahrzehnten ein ungeschriebenes Gesetz: In dem Moment, in dem Hitler oder Nazis in der Debatte auftauchen, ist die Debatte tot. Wer also Nazisau schreibt, sollte wissen…aber lassen wir das.
Tatsächlich brauchte der Mann Polizeischutz, erhielt Morddrohungen und wurde vom rechten Digital-Pöbel übel angegangen. Aber so laufen deutsche Debatten im Netz inzwischen gerne: Irgendwann sagt jemand irgendwas mit Hitler und dann wird bedroht, beleidigt, prozessiert. Als Unbeteiligter steht man meistens verwirrt mittendrin und fragt sich, welche Seite genau man jetzt unerträglicher finden soll.
Für mich selbst bin ich noch nicht zu einer befriedigenden Antwort gekommen, weil sie sich da ähnlich sind, die linken Spießer und die rechten Sektierer. Wer ein Sendeverbot für Dieter Nuhr verlangt, ist mir um kein Fitzelchen sympathischer als jemand, der wegen des Umweltsau-Dingens die Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks fordert. Ein bekannter Kolumnist und Bücherschreiber hat sich in letzter Zeit mehrfach unverblümt dafür ausgesprochen, Meinungen zu regulieren. Auch angesichts solchen Unfugs bekommt man ein Gefühl dafür, was in den vergangenen zehn Jahren passiert ist.
Likes gibt es für die Lauten
Je älter ich werde und umso größer meine Erfahrungen sind, desto mehr ahne ich: Die Welt ist selten schwarz oder weiß, sondern eine Mischung aus beidem. Das ergibt in der Konsequenz ein eher unscheinbares Grau. Das wiederum ist die vermutlich Social-Media-unfreundlichste Farbe, die man sich vorstellen kann. Mit grau gewinnt man keine Follower. Für grau gibt es keine Likes. Für grau müsste man Zeit, Platz und Muße haben. Im digitalen Zeitalter handelt es sich bei solchen Dingen zunehmend mehr um Luxusgüter.
In dem Zusammenhang bekommt man auch eine Ahnung, warum mittlerweile so viele Menschen glauben, die Meinungsfreiheit sei eingeschränkt (in Deutschland sind das, je nach Umfrage, zuverlässig Werte von über 50 Prozent). Immer, wenn solche Zahlen kursieren, kommt irgendein Blockwart oder noch besser: Medienkritiker aus der Ecke und erklärt, warum das Unsinn ist. Das gehört tatsächlich zu den einfachsten Übungen. De jure und de facto ist die Meinungsfreiheit genauso groß oder klein wie vor 50 Jahren. Für diese Erkenntnis muss man weder besonders hell im Kopf sein noch intensiv recherchieren. Schließlich handelt es sich lediglich um eine gefühlte Einschränkung der Meinungsfreiheit.
Die wiederum hat mit einem Paradox zu tun: Man fühlt sich in seiner Freiheit eingeschränkt, weil es noch nie so viele Meinungen gab, mit denen man konfrontiert wurde. Man erschrickt vor so viel Gegenwind und zieht sich schnell in seine wohlige Filterblase zurück. Ein paradoxer Effekt also: Die Tatsache, dass mittlerweile jeder publizieren kann, was er will und viele das auch tun, sorgt für Meinungs-Rudelbildungen im Netz. Und für unangenehme Konfrontation mit der Realität. Auch dafür ist die Umweltsau-Debatte ein Beleg: Während für die einen komplett unverständlich bleibt, wie man so etwas auch noch als Satire bezeichnen mag, kapieren andere nicht, dass es offenbar gar nicht so wenige Menschen gibt, die sich nicht so gerne als Sau bezeichnen lassen, nicht mal im Spaß. Das alles wäre eigentlich ein simpler Vorgang und unter normalen 80er-Jahre-Umständen auch kaum eine Debatte wert. Heute muss man eine geschlagene Woche drüber debattieren. Zu einer echten Annäherung kommt man dennoch nicht.
Was kommt nach den „Terrible Tens“?
Das zeigt sich auch in einem anderen erstaunlichen Phänomen: Bei Debatten im Netz fallen Hemmschwellen auch bei Menschen, die man im echten Leben als ausgeglichene, freundliche Zeitgenossen kennt. Das Aggressionslevel im Netz ist spürbar größer als andernorts. Auch das gehört zu den großen Enttäuschungen der letzten zehn Jahre: Man musste zu Beginn des Jahrtausends nicht mal ein Utopist sein, um sich vorzustellen, dass das Netz die Welt zu einem besseren Ort machen könnte. Wenn heute Journalisten bedroht oder gar mit Brandanschlägen auf ihr Auto bedacht werden, dann wird man schnell vom Utopisten zum Realisten.
Weswegen ich auch nicht mehr daran glaube, dass insbesondere das soziale Netz ein geeigneter Ort ist, um in gepflegten Debatten nach einem Konsens für irgendwas zu suchen. Man dürfe das Netz nicht den Schreihälsen überlassen, wird dann gerne argumentiert. Dabei ist das doch leider schon lange passiert, dass die Lauten den Ton angeben. Nicht nur auf der rechten, sondern auf der linken Seite genauso. Mit laut ist nicht nur der virtuelle Dezibel-Wert gemeint. Sondern auch das Verkürzen auf irgendwelche hübschen Social-Media-Bildchen, auf zitierfähige Claims, auf populistische Verknappungen. Dafür waren Menschen schon immer anfällig, das Netz verstärkt diese Neigung noch.
Waren also die vergangenen zehn Jahre schlechte Jahre für das Netz? Zweifelsohne, die „Washington Post“ hat sie gerade erst die „Terrible Tens“ genannt. Werden die kommenden Jahre besser, für das Netz allgemein und den Journalismus im speziellen? Eine Dekanden-Prognose wäre wie immer unseriös. Sicher ist aber: Nach dem Zeitalter des Utopismus bräuchten wir jetzt vor allem Pragmatismus und Realismus. Der utopische Kram hat uns nicht wirklich weiter gebracht.
Bei Spotify haben sie gerade eben mal wieder eine neue Rubrik entwickelt: den personalisierten täglichen Podcast-Mix; eine Playliste mit Podcasts, die dir eigentlich gefallen müssten. So wie bei der Musik, nur eben mit Podcasts. Read More
Das wäre nicht weiter der Rede wert, würde es nicht sinnbildlich für den Stellenwert stehen, den Podcasts inzwischen haben. Für Unternehmen wie Spotify und iTunes, aber ebenso für mittelgroße Player wie Audible oder Deezer, spielen sie eine entscheidende strategische Rolle: Weg vom eigentlichen Kerngeschäft, hin zu Universal-Anbietern von Audio (früher auch bekannt als: Radio).
Was Podcast-Skeptiker gerne ins Feld führen: Von einem Massenphänomen seien Podcasts weit entfernt. Nüchtern, vulgo: In Zahlen betrachtet stimmt das. Nach den Ergebnissen der letzten Onlinestudie von ARD und ZDF bringen nutzen gerade mal 14 Prozent des Gesamtpublikums in Deutschland regelmäßig Podcasts bzw. „zeitversetzte Radiosendungen“ (auffällig aber auch hier: Bei den 14 bis 29jährigen ist der Anteil schon fast doppelt so hoch. Wenn also trotzdem drei Viertel der Deutschen nichts mit Podcasts am Hut haben – wozu dann dieses Gewese?
Die Entwicklung läuft ähnlich wie beim Bewegtbild
Die Entwicklung bei Podcasts steht immer noch am Anfang, wir sind gerade erst in einer Phase der Professionalisierung. Unbestritten ebenfalls: Die Monetarisierung von Podcasts ist schwierig. Trotzdem lässt sich schon jetzt ein ähnlicher Trend erkennen wie beim Thema Bewegtbild: Weg von der linearen Nutzung, hin zu On-Demand-Inhalten. Weg von General Interest, rein in die Nische. Weg vom Allgemeinen, hin zur Personalisierung. Das bringt auch eine Fragmentierung des Marktes mit sich, das Long-Tail-Phänomen haben wir schon jetzt auch bei Podcasts: Ein paar laufen richtig gut, dahinter kommen dann ganz, ganz viele, die irgendwo bei sieben Hörern monatlich absaufen.
Sicher ist: Zumindest im deutschsprachigen Raum lassen sich Podcasts bisher kaum monetarisieren. Für die meisten Anbieter, ob jetzt Redaktionen oder Unternehmen, ist das auch nicht der entscheidende Punkt. Momentan wichtiger ist für sie, mittelfristig neue Zielgruppen zu erreichen. Zumal ein Investment in das Thema Audio auch eine Positionierung für die Zukunft ist: Audio hat vermutlich enorm viel Wachstumspotenzial. Voice im Auto oder zu Hause, Stichwort Smartspeaker, wenn das alles so kommt, wie man es derzeit erwarten darf, dann schaden eine Expertise und eine eigene Strategie für das Thema Audio auf keinen Fall. (Ein guter Text zu Thema Audio-Strategie findet sich übrigens hier.)
Christian Bollert, Geschäftsführer detektor fm, über die Entwicklungen beim Thema Podcast.
Podcasts sind aktuell für Publisher eher Mittel zum Zweck: User an sich binden, Markenbekanntheit steigern, zusätzliche Ausspielwege für Inhalte nutzen.
Für Journalisten jeglicher Couleur sollten Podcasts eigentlich eine paradiesische neue Möglichkeit sein. Sogar dann, wenn man unterstellt, dass der Weg zum Massenmarkt doch noch etwas länger ist. Das vor allem aus zwei Gründen.
Erstens: Podcasts sind non-linear, vor allem auf mobilen Plattformen (Smartphone) ideal zu nutzen und technisch wenig aufwendig, zumindest im Vertrieb. Damit sind sie alles das, was speziell für ein jüngeres, digitales Publikum relevant ist.
Zweitens: Podcasts bieten jede erdenkliche inhaltliche Freiheit. Sie können zwei, zwanzig oder zweihundert Minuten lang sein. Für jedes Format, für jede Länge finden sich erfolgreiche Beispiele; die Kollegen der „Zeit“ beispielsweise kokettieren bei ihrem „Alles gesagt“-Podcast förmlich mit solchen monströsen Längen wie sechs Stunden. Für Journalisten ein echter Traum: Endlich mal mehr an Inhalt als an Format denken!
Ein Paradies für Journalisten
Hintergrund, Analyse, Unterhaltung, Meinung, all die Sachen, die in konventionellen, linearen Produkten so schwer unterzubringen sind, haben hier ihren Platz. Und sind das nicht genau die Dinge, die den Journalismus erst zu dem machen, was er sein sollte? Das schiere Vermelden von Nachrichten ist es in Zeiten des schieren Informations-Overloads sicher nicht mehr. Sie sehen, ich wundere mich gerade, warum sich nicht noch viel mehr Journalisten mit Begeisterung auf das Thema Podcast stürzen.
Ich weiß nicht, ob ich es Prognose oder nur stille Hoffnung nennen soll – aber 2020 könnte das Jahr werden, in dem Podcasts endgültig die Nische verlassen. Es wäre jedenfalls kein Fehler, darauf vorbereitet zu sein.
In eigener Sache: Mein Podcast „Digitale Viertelstunde“ läuft ab sofort bei den Kollegen von W&V. Die erste Folge unter dem neuen Label ist ab Freitag, 20.12., zu hören.