Am besten tun wir gar nix

Vor ein paar Tagen hat der Redakteur Ralf Heimann bekanntgegeben, demnächst seinen Dienst bei einer Tageszeitung in Münster zu quittieren. Heimann ist weder ein Berufseinsteiger, der gerne woanders hin will, noch ist er ein frustrierter alter Mann, der es sich jetzt leisten kann, in den Vorruhendstand zu gehen – und deshalb mit einem lauten Knall hinwirft. Das heißt, Frust mag in seiner Entscheidung schon eine Rolle gespielt haben. Wie dem auch sei: Ein Journalist, der früher gerne mal gerne Zeitung gemacht hat, lässt seinen Job einfach mal so hinter sich, in Zeiten wie diesen, wo sie anderswo um ihre Jobs bangen (dazu später dann mehr): Hat der Mann sie nicht mehr alle? Vermutlich schon, zumal ihm die Dimension seines Handels schon klar ist: „Operation Harakiri“ hat er augenzwinkernd seinen Blog genannt, auf dem er aktuell ziemlich viele Einblicke in das Seelenleben eines frustrierten Redakteurs gibt, der sich dennoch die Freude an seinem Beruf nicht einfach so nehmen lassen will.

Seine Geschichte sagt eine ganze Menge darüber aus, wie es gerade um unseren Berufsstand bestellt ist.  Ich kenne Ralf Heimann nicht persönlich und kann deswegen nur mutmaßen. Aber es würde mich nicht wundern, wenn es bei dieser Kündigung nicht so sehr um das Medium Tageszeitung alleine geht, von dem er sich nach eigenen Worten „entfremdet“ hat. Das deswegen nicht,  weil man von dieser Entfremdung ziemlich viel spürt momentan, vor allem dann, wenn man sich mit jüngeren Kollegen unterhält. Von denen man ja eigentlich denken sollte, dass sie noch mit einigermaßen Spaß bei der Sache sind, anders als jemand, der vielleicht aus nachvollziehbaren Gründen nicht mehr ganz so glücklich ist mit dem, was er seit 20 Jahren so macht.

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Im Mai war ich eingeladen beim Gewerkschaftstag des DJV in Nordrhein-Westfalen. Ich sollte dort so eine Art Keynote halten und mit rund 20 Minuten Redezeit zum Thema „Digitaler Journalismus“ auf den Tag einstimmen. Dummerweise liefen mir genau in der Woche davor eine ganze Menge junger Kollegen über den Weg: Volontäre und Studenten, die seit kurzem in diesem unserem Beruf tätig sind oder es demnächst dann mal sein wollen. Was ich erlebt habe, war genau das, was Ralf Heimann in weiten Teilen seiner Blogeinträge beschreibt. Mit dem Unterschied, dass die Herrschaften noch keine zehn Berufsjahre auf dem Buckel hatten. Die Beobachtungen waren dennoch weitgehend identisch. Dazu kam allerdings die Perspektive von jungen Journalisten, die instinktiv bemerken, dass irgendwas schief läuft, gerne dazu beitragen würden, daran etwas zu ändern und immer wieder gegen Mauern laufen.

Die Mauern waren allerdings nicht nur, wie man jetzt vorschnell annehmen könnte, irgendwelche böse Verleger und Chefredakteure (die natürlich auch). Sondern mindestens genauso die lieben Kollegen, die seit etlichen Jahren in den diversen Redaktionen sitzen und am liebsten schlichtweg negieren würden, dass sich da in den letzten 15 Jahren etwas angebahnt hat, was mit „Digitalisierung“ nur sehr technokratisch beschrieben ist und tatsächlich nichts anderes ist als die radikalste Veränderung unseres Berufs seit Menschengedenken. Der Schlag Kollegen, den vermutlich auch Ralf Heimann gut genug kennt. Dessen Philosophie darin besteht, dass sich am besten einfach nichts ändert. Egal was da draußen passiert.

Dazu kommen bei vielen Studenten ernste Zweifel, ob sie es denn wirklich mit diesem Beruf versuchen wollen. Angesichts der weiterhin eher unerfreulichen Meldungen aus der Branche ist das nicht einmal etwas, was man ihnen vorwerfen könnte. Aber was soll eigentlich aus dem Journalistenberuf künftig werden, wenn man es auf der einen Seite mit tief sitzendem Frust an der Basis bei denen, die schon drin sind zu tun hat? Und mit massiven Zukunftsängsten bei denen, die erst noch rein wollen? Das war der Grund, warum ich ziemlich spontan mein eigentliches Thema geändert und die 20 Minuten dafür genutzt habe, meinem Unmut darüber Ausdruck zu geben, welch unsinnige Debatten wir immer noch führen.

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 Ist die Zukunft des Journalismus jetzt digital oder doch eher analog oder eine Mischung aus beidem? Ist das Internet schuld daran, dass es gerade eben mal nicht so gut geht und wir es deshalb immer wieder mit unschönen Meldungen wie inzwischen schon seit Wochen beim weiterhin offenen Schicksal der Münchner „Abendzeitung“ zu tun haben. Schon klar, die Disruption greift weiter um sich: Über die AZ haben wir genug gelesen, wir kennen die Zahlen von zweitstelligen Millionenverlusten pro Jahr. Aber auch ein Blatt wie die FAZ schreibt nunmehr schon im zweiten Jahr hintereinander unerfreulich hohe Millionenverluste. Und selbst der „Münchner Merkur“, den man bisher für weitgehend krisenresistent hielt, muss sich auf schlechtere Zeiten einstellen (dass es ausgerechnet die FAZ war, die über Befürchtungen berichtete, es komme dort zu betriebsbedingten Kündigungen, war dann nicht ganz ohne Ironie). Man könnte noch eine ganze Zeit weitermachen mit der Auflistung insbesondere von darbenden Tageszeitungen, es macht nur keinen großen Sinn. Dass die bisherigen Geschäftsmodelle irgendwann mal an ein Ende kommen, das bestreitet vermutlich niemand mehr, die Suche nach den neuen Modellen hat schon lange begonnen.

Immer noch nicht richtig begonnen hat dagegen die Debatte über den Ist- und Sollzustand des Journalistenberufs. Zumindest dann nicht, wenn man darunter mehr versteht als Tarifverhandlungen um ein paar Euro mehr Gehalt und ein paar Minuten weniger Arbeitszeit. Es geht ja schließlich nicht nur darum, auf welchen Kanälen man Journalismus künftig am besten vertreibt. Stattdessen würden ein paar Gedanken nicht schaden, welchen Journalismus man eigentlich künftig gerne hätte. Das schon alleine deswegen, weil sich ja immer noch die Frage stellt, ob die nicht übermäßig ausgeprägte Zahlungswilligkeit des Publikums, die sinkenden Auflagen und Umsätze und das Abwandern von den linearen TV- und Radioprogrammen nicht auch etwas mit den Inhalten zu tun haben könnten.

Oder anders gefragt: Wer soll eigentlich Journalismus machen, den man gerne konsumiert und dann auch noch dafür bezahlt, wenn sich die fatale Mischung aus Unlust,  Verweigerungshaltung und Zukunftsangst auch nach außen hin bemerkbar macht? Womit wir dann wieder beim Kollegen Ralf Heimann wären. Ich war selbst lange genug Lokalredakteur, um bei seinen Schilderungen nicht etwa den Kopf zu schütteln, sondern mir lediglich zu denken: Da hat sich aber nicht sehr viel geändert in den letzten 15 Jahren. Ich war ein bisschen über 30, als ich mich davon verabschiedet habe. Wenn ich Heimann so lese und mich mit Volontären unterhalte, komme ich zu dem Schluss: Wäre ich geblieben, wäre ich heute Alkoholiker. Oder Zyniker. Oder beides.

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Auf diese schlaue Idee sind nur dummerweise in den letzten Jahren viele andere auch gekommen. Ich weiß nicht, was aus den ganzen Studenten geworden ist, die ich in den letzten Jahren in Passau in meinen Veranstaltungen gehabt habe. Ich weiß aber sicher, dass ein ganz beträchtlicher Teil erst gar nicht in den Journalismus gegangen ist, obwohl sie das eigentlich mal wollten und sie ihren Studiengang ja auch nicht ganz ohne Grund gewählt hatten. Es waren, so viel kann ich sicher sagen, nicht die Schlechtesten, die unserem Beruf verloren gegangen sind.

Und da reden wir dann tatsächlich noch über diese Sache mit dem Internet? Darüber, dass man jetzt vielleicht irgendwie multi- und crossmedial arbeiten könnte und versuchen müsste, auch im Netz ein paar Erlöse zu erzielen? Man müsste viel mehr darüber reden, wie wir es hinbekommen, dass man in diesem Beruf wieder in ordentlichen Rahmenbedingungen arbeiten kann. Dass man sich für diesen Beruf wieder begeistern kann, weil es (Achtung, sehr hohles Pathos!) ohne Begeisterung und Leidenschaft in diesem Beruf nicht geht.

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Irgendwann in diesem Mai war es dann auch soweit, dass sich die Hoodie-Debatte um den Kollegen Stefan Plöchinger und die SZ wieder beruhigte. Plöchinger ist mittlerweile Mitglied der SZ-Chefredaktion und alles in allem hat sich bei dieser Debatte dann auch mal wieder gezeigt, dass eben doch nicht alles so heiß gegessen wird, wie man es kocht. Bei der SZ waren sie also vernünftig, holten sich einen ausgewiesenen Top-Digitaler in die Chefredaktion und lassen ihn dabei sogar dem Vernehmen nach Kapuzenpullis tragen. Das ist für beide Seiten vermutlich die beste Lösung.

Allerdings kann man aus der inzwischen abgeebbten Hoodie-Debatte auch anderes rauslesen. Nämlich, dass das, was selbstverständlich sein sollte, noch lange nicht selbstverständlich ist. Selbstverständlich müsste es sein, dass jedes bisher analoge Medium mindestens einen Onliner in seine Chefredaktion holt. Einen, der mehr kann, als ein irgendwie erträgliches Onlineangebot zu erstellen und ansonsten nicht sehr viel zu schmettern hat. Sondern einen, der zugleich in der Lage ist, zukünftige Optionen zu erkennen und entsprechende Projekte umzusetzen. Doch das sind immer noch Ausnahmen.

Der vorhin schon erwähnte „Münchner Merkur“ beispielsweise hat sich zum Jahreswechsel mit Bettina Bäumlisberger eine neue Chefredakteurin besorgt. Frau Bäumlisberger war irgendwann mal beim „Focus“ und dann Pressesprecherin einer bayerischen Landtagsfraktion. Sie ist bestimmt eine prima Journalistin und womöglich sogar eine gute Chefredakteurin. Von einer digitalen Expertise ist allerdings weder bei ihr noch beim Rest der Chefredaktion irgendetwas bekannt. Da ist der „Merkur“ ganz sicher keine Ausnahme, sondern eher die Regel. Was das sowohl für die inhaltliche Ausrichtung als auch die digitalen Perspektiven bedeutet, kann man sich leicht ausrechnen.

Keine sehr guten Nachrichten für Volontäre und Studenten vermutlich. Leider allerdings auch nicht für den Rest des Journalismus.

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